Wien – In Österreich sind es immer wieder die Gerichte, die für Gleichberechtigung sorgen. So wurde das Adoptionsverbot für Homosexuelle 2015 durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben und zuvor der Operationszwang bei Transsexuellen 2009 durch den Verwaltungsgerichtshof gekippt.

Eines von 500 Neugeborenen wird mit mehrdeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren – sie sind intersexuell. In Deutschland hat der Verfassungsgerichtshof deshalb entschieden, dass es ein drittes Geschlecht im Geburtenregister geben soll.
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Beim dritten Geschlecht soll der Gesetzgeber nun aber einem Höchstgerichtsurteil zuvorkommen – zumindest wenn es nach der SPÖ und den Neos geht. Beide Parteien wollen eine Initiative im Nationalrat starten und nicht eine mögliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im kommenden Jahr abwarten.

ÖVP schweigt zu Thema, FPÖ dagegen

Im Ö1-"Morgenjournal" sprach sich der stellvertretende SPÖ-Klubchef Andreas Schieder für eine Lösung nach deutschem Vorbild aus. Dort hat am Dienstag der Bundesverfassungsgerichtshof entschieden, dass es neben männlich und weiblich künftig den Eintrag "inter" oder "divers" geben soll. Der stellvertretende Neos-Klubobmann Nikolaus Scherak "wüsste nicht, was dagegen spricht".

Die wahrscheinlich künftigen Regierungsparteien FPÖ und ÖVP reagieren anders: Die blaue Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch ist der Meinung, dass Betroffene "nicht zuordenbar bleiben sollen". Die ÖVP schweigt.

VfGH-Entscheidung in erster Hälfte 2018

Dass die Politik dem Gerichtshof zuvorkommt, glaubt Eva Matt nicht. Die Juristin ist Mitbegründerin der Plattform Intersex in Österreich. "Ich denke aber, dass mit einem Urteil im ersten Halbjahr 2018 zu rechnen ist", sagt Matt im Gespräch mit dem STANDARD. Sie ist zuversichtlich, dass sich die Höchstrichter – wie die deutschen Kollegen – für ein drittes Geschlecht aussprechen werden. "Ich bin begeistert, dass die Angelegenheit wahrscheinlich nicht bis zum Europäischen Gerichtshof geht."

Für Matt wäre die Änderung des Personenstandsregisters eine "einfache Lösung". Wenn schlussendlich die gesamte Rechtsordnung überarbeitet wird, sieht die Juristin das aber als große Aufgabe. "Der Gesetzgeber hat aber schon größere Dinge bewältigt", sagt Matt.

0,5 Prozent der Österreicher betroffen

Für die dritte Option beim Geschlecht kämpft Alex Jürgen bereits seit längerem. Der intersexuelle Mensch – der laut Geburtsregister ein Mann ist – will seinen Geburtenbucheintrag berichtigen lassen. Dabei blitzte er beim Standesamt Steyr und in der Folge auch beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ab. Nun liegt der Fall beim Verfassungsgericht.

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 0,5 Prozent der Menschen in Österreich nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Für sie kämpfen Selbstbestimmungsgruppen auch gegen umstrittene medizinische Eingriffe. Dazu wurde im Gesundheitsministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Mediziner, Selbstvertreter und weitere Experten arbeiten an neuen medizinischen Richtlinien. "Der Schritt zu einer Abschaffung der Operation ist groß", sagt Matt. "Doch durch den jetzt vorhandenen Druck wird das hoffentlich bald erledigt sein." (Bianca Blei, 10.11.2017)