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Wie weit dürfen Männer gehen, wo ist die Grenze zur sexuellen Belästigung? Die #MeToo-Kampagne von Frauen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, hat unter anderem auch diese Fragen aufgeworfen.

Foto: Getty Images/Jochen Schoenfeld

In der auf allen Medienkanälen hochemotional geführten Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung sitzt eine kleine Elite auf der Anklagebank: ältere, mächtige Männer. Frauen berichten weltweit von sexuellen Anzüglichkeiten bis hin zu Vergewaltigungen – einzelne melden sich auch mit Kritik an der Anti-Sexismus-Kampagne zu Wort. Und wie denken Männer, die jung sind und noch am Anfang ihrer Berufskarriere stehen, über Sex, Sexismus und #MeToo? Fühlen sie sich betroffen oder verunsichert? Wie sieht ihr männliches Rollenbild aus?

DER STANDARD lud eine Runde junger Männer, alle Anfang 20, in ein Pub zur Diskussion ein. Um wirklich offen reden zu können, wählten die Teilnehmer, fünf Studierende und ein Arbeitssuchender, Alias-Namen. Zusätzlich liefert der Leiter des Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapien in Wien, Wolfgang Kostenwein, einige wissenschaftliche Überlegungen zum Thema.

STANDARD: Fühlt ihr euch durch die #MeToo-Kampagne angesprochen?

Christoph: Es ist ziemlich wichtig, dass wir darüber reden, aber es besteht die Gefahr, dass alles wieder in Vergessenheit gerät.

Max: Problematisch finde ich, dass alle Geschichten in einen Topf geworfen werden. Es ist ein Unterschied, wenn ein Mann, der besoffen ist, einer Frau einmal auf den Hintern klopft und sich wie ein Arschloch aufführt oder ein Mann eine Frau zu sexuellen Handlungen zwingt.

David: Ich sehe auch, dass die Aktion gefährdet wird, weil nicht differenziert wird. Es ist oft schwammig, und das macht die Kampagne angreifbar. #MeToo definiert gar nix, das kann von der Gruppenvergewaltigung bis zum Hinterherpfeifen gehen.

Paul: Aber es ist wichtig, dass jetzt alles gehört wird. Polarisierung ist gut. Trotzdem: Wichtig ist, dass daraus eine gesellschaftliche Debatte wird und es nicht bei einer punktuellen Empörung bleibt. Mich stört natürlich auch, wenn es von Frauen benutzt wird. Und man muss auch aufpassen, dass es nicht zur Prestigesache wird, Opfer zu sein, damit man dazugehört.

STANDARD: Macht die #MeToo-Debatte die Kommunikation mit Frauen jetzt schwieriger, hat man da bereits eine Tabuschranke im Kopf?

Peter: Natürlich. Es ist schwieriger geworden, weil man sich ständig fragt: Darf ich das oder das jetzt noch sagen? Das ist natürlich im Hinterkopf. Es ist immer die Frage, wo ist die Grenze des Spiels. Ist es jetzt ernst oder nicht?

"Grundsätzliches anschauen"

Die hier anklingende Verunsicherung erlebt auch Wolfgang Kostenwein in seiner Arbeit als Sexualtherapeut. Er schickt voraus: "Das wirklich Wichtige an der #MeToo-Debatte ist, dass sich die Gesellschaft klar positioniert und darüber ein Diskurs stattfindet." Dies böte aus Kostenweins Sicht aber auch "eine wunderbare Gelegenheit, sich Grundsätzliches anzuschauen. Jungen Männern zu sagen, was sie nicht dürfen, ist definitiv zu wenig".

Und der Psychologe fügt hinzu: "Junge Männer sind in der Sexualität ganz stark mit der Frage beschäftigt, wie muss ich sein, um den Erwartungen der Gesellschhaft und des Gegenübers zu entsprechen." Er erlebe in Therapien und Beratungen "eine ganz starke Außenorientierung und Verunsicherung, die jedenfalls nicht geeignet erscheint, die Beziehungsebene gut gestalten zu können".

Wo ist die Grenze?

Es ist eines der Themen, das die Runde junger Männer stark beschäftigt: Wo werden Grenzen überschritten, wo beginnt sexuelle Belästigung?

Christoph: Beginnt sie schon, wenn ich alle zwei Minuten ein Kompliment mache und sie sagt, sie kann es schon nicht mehr hören? Ist das auch schon sexuelle Belästigung?

Max: Man muss unterscheiden zwischen körperlicher Nötigung und verbaler Nötigung. Körperlich muss man nicht viel diskutieren.

David: Sexuelle Belästigung beginnt für mich eindeutig beim Anfassen, beim Verbalen kann man darüber reden. Das Abhängigkeitsverhältnis ist natürlich wichtig.

Paul: Wenn das Opfer sagt, nein, das möchte ich nicht von dir, und du machst das immer weiter. Oder wenn es direkt in den Genitalbereich geht, das ist eindeutig sexuelle Belästigung. Nachpfeifen sehe ich nicht als sexuelle Belästigung. Ist mir im Schwimmbad auch schon mal passiert.

Timo: Auch wenn man besoffen ist, ist das keine Entschuldigung. Du kannst ja auch nicht mit einem Auto wo reinfahren und sagen, sorry, ich war betrunken. Wenn du dir zehn Bier reinkippst, musst du wissen, dass du nicht so bist, wie wenn du nüchtern bist, die Schamgrenze ist dann weit nach unten gerutscht.

Christian: Aber was ist beim Flirten? Das ist ein Spiel. Wo ist hier die Grenze? Das ist total schwer.

STANDARD: Habt ihr Nacktfotos von Mitschülerinnen bekommen? Und inwieweit hat euch der leichte Zugang zu Pornos in eurem Sexualverhalten und der Beziehung zu Mädchen oder Frauen beeinflusst? (Lachen in der Runde)

Max: Es sind nicht viele Mädchen, die Nacktfotos verschickt haben. Das war, als wir so an die 14 Jahre alt waren. Das hört dann aber auf. Ein pubertäres Problem.

Paul: Pornos, das kam früher, mit elf oder zwölf. War ja leicht zu bekommen im Netz. Der eigene Körper war da noch so weit weg von diesen Idealbildern. Ich finde nicht, dass das einen großen Einfluss hatte.

Christian: Die Filme haben vielleicht die Fantasie angeregt oder befriedigt, aber sie haben mich nicht unter Druck gesetzt.

Peter: Man kann das irgendwie mit Gewaltspielen vergleichen. Diese Shooterspiele haben auch nicht wirklich einen Einfluss gehabt auf meine Entwicklung.

Christian: Ja, das ist ein guter Vergleich. Es kann gewisse Leute schon beeinflussen, aber nicht prinzipiell. Sie verändern die Psyche nicht.

"Orientierung von außen"

Pornografie habe immer dann großen Einfluss, wenn sich Menschen in ihrer eigenen Sexualität zu wenig auskennen und wahrnehmen, sagt Sexologe Kostenwein. "Je weniger die eigene Lust zugänglich ist, desto mehr müssen Orientierungspunkte von außen her. Das macht Pornos erst so mächtig."

Die starke Verbreitung der Bilder stehe aber nicht für ein generelles Fallen von Tabus beim Thema Sexualität. "In den für Menschen wichtigen Fragen tabuisiert unsere Gesellschaft Sexualität nach wie vor, lediglich oberflächlich hat es eine Liberalisierung gegeben", sagt der Experte. So sei auch die sexuelle Entwicklung bei Kindern nach wie vor ein Tabuthema.

Die jungen Männer der Diskussionsrunde nehmen das Thema Sex hingegen als kaum tabuisiert wahr. In der Freundesrunde werde so ziemlich alles erzählt:

Timo: In der Öffentlichkeit zeigt man Sexualität nicht mehr so gerne her. Ich glaube, was die 68er übertrieben haben, hat jetzt das Gegenteil hervorgerufen. Im Freundeskreis sind wir aber nicht prüde oder so. Man kann ganz offen reden über jegliches sexuelles Verhalten,

Paul: Im Freundeskreis, auch mit Frauen, sind wir nicht prüde.

Dass unter jungen Männern – und Frauen – durchaus offen über Sex gesprochen wird, darauf weisen auch die Ergebnisse der deutschen Studie "Jugendsexualität 2015" hin. Die Studie wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seit 1980 durchgeführt. Demnach wird es mit zunehmendem Alter und eigenen sexuellen Erfahrungen "weitgehend normal, offen über Sexualität zu reden".

Leichter tun sich die jungen Männer: Da sagen knapp zwei Drittel der 21- bis 25-Jährigen, sie hätten keine Probleme, darüber zu sprechen, bei jungen Frauen ist es gut die Hälfte.

Männlichkeit als Rätsel

Beinahe wortkarg wird die Diskussionsrunde im Pub hingegen bei der Frage, wie es um ein neues männliches Rollenbild bestellt ist.

Sexologe Kostenwein kennt diese Ratlosigkeit, er hat sie täglich in seiner Praxis. "Ich erlebe Männer zwischen zwei Rollenbildern: dem ,ignoranten Arschloch' und dem so sehr Einfühlsamen, dass er nicht mehr weiß, was er selbst will", sagt Kostenwein. Die Pädagogik habe in Reaktion auf die gesellschaftliche Realität seit 30, 40 Jahren versucht, Männer zu Empathie und Einfühlsamkeit zu erziehen. Nun stelle sich die Frage: "Was ist eine positive männliche Identität?"

Die Frage wird weitergereicht.

STANDARD: Was kennzeichnet euch als Mann?

Christoph: Was typisch Männliches? Hmmm ...

Max: Supergute Frage. Ich wüsste jetzt nicht, was mich als Mann definiert. Die Biologie natürlich, ich hab einen Pimmel und sie nicht. Aber sonst?

Die Runde ringt um Antworten, dreht sich ein paar Mal im Kreis, ergebnislos. Schlussendlich äußert sich einer in der Runde:

Paul: Ich fühle mich als Mann. Ich glaube, es ist determiniert, und ich kann mich gar nicht entscheiden, ob ich mich als Mann oder Frau fühle. (Walter Müller, Gudrun Springer, 11.11.2017)