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Die EZB strebt eine Inflationsrate von zwei Prozent an, erreicht das Niveau aber trotz jahrelanger Bemühungen nicht. Der Grund: Das gewählte Verfahren ist ein Umweg.

Foto: REUTERS/Ralph Orlowski

Ziemlich regelmäßig konnte in der Vergangenheit ein Auf und Ab der Wirtschaft beobachtet werden. Als ein Hauptgrund für diese Konjunkturen sieht man die unstetige Investitionstätigkeit von Unternehmen an. Es ist daher verständlich, wenn die Meinung vorherrscht, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssten die Betriebe zu Investitionen angeregt werden. Als Anreize werden der leichtere Empfang von Krediten und niedrige Zinsen angesehen. Dazu wurden seitens der Europäischen Zentralbank (EZB) seit der großen Krise ab 2008 die Zinsen stetig gesenkt und die Geldmenge erhöht. Doch es sind vor allem zwei wesentlichere Umstände, die zu Investitionen motivieren: Ein Anstieg der Nachfrage nach neuartigen Waren sowie der zeitbedingte Ersatz von verbrauchten Produkten und Diensten.

Als Anzeichen der Erholung wird ein Anstieg der Preise angesehen, weshalb seitens der EZB eine Inflationsrate von zwei Prozent angestrebt wird. Derzeit sind die Zinsen, die die EZB für ihre Kredite an die Geschäftsbanken verlangt, auf null Prozent und die Geldausweitung auf 60 Milliarden Euro pro Monat festgesetzt. Doch das gewünschte allgemeine Inflationsniveau von etwa zwei Prozent wurde trotz jahrelanger Bemühungen nicht erreicht. Der Grund: Das gewählte Verfahren ist ein Umweg, weil der unmittelbare Zusammenhang zwischen Produktion (Erarbeitung der Wirtschaftsleistungen), Distribution (Differenzierte Zugänge zu Wirtschaftsleistungen) und Konsumtion (Verbrauch oder Nutzung der Wirtschaftsleistungen) und damit der für ökonomischen Erfolg erforderliche wirtschaftliche Kreislauf nicht hinreichend beachtet werden.

Bedarf und Geldverfügbarkeit

Nachfrage nach Gütern und Diensten kann in der entfalteten Geldgesellschaft – in dieser mehr oder weniger alles gekauft werden muss, was gebraucht wird – nur entstehen, wenn beides zugleich gegeben ist: Bedarf und Geld. Nun hat sich eine Situation entwickelt, in der Bedarf und Geldverfügbarkeit stark auseinanderdriften. Für den größeren Teil der Bevölkerung bestehen Bedürfnisse, weil stetiger Ersatz nach Verbrauch erforderlich ist und weil Werbung weitergehende Bedürfnisse hervorruft; wegen nicht ausreichender Kaufkraft stagniert die Nachfrage dieser Gruppe. Andererseits ermöglichen erhöhte Geldmenge und niedriges Zinsniveau für einen kleineren Teil der Gesellschaftsmitglieder nicht nur, ihre Bedürfnisse durch Kauf reichlich zu befriedigen, sondern auch, ihr Geldvermögen in Immobilien (Sachwerte) und Aktien (Finanzwerte) zu investieren, was deren Gesamtvermögen sichert und steigert. Die einschlägig starke Nachfrage lässt den Anstieg der Häuserpreise und Börsenwerte erklären.

Würden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge beachtet, ließe sich statt des Umwegs ein unmittelbarer Weg zur Steigerung der allgemeinen Nachfrage und damit zum erwünschten wirtschaftlichen Erfolg einschlagen, indem Bedarf und Geldverfügbarkeit zusammengeführt werden. Dies könnte auf mehreren Arten erfolgen: durch merkbare Erhöhung des Einkommens prekär Beschäftigter, der Erwerbslosen, der Bezieher niedriger Pensionen; durch finanzielle Unterstützung der Hilfsbedürftigen im In- und Ausland, aber auch durch staatliche Investitionen in den Erhalt und die Verbesserung der Infrastruktur – sowohl der materiellen wie beispielsweise der Energieversorgung, als auch der immateriellen wie Bildung und Wissenschaft.

Begrenztes garantiertes Einkommen

Ein besonderer Weg, der mittel- , aber vor allem längerfristig zu stabilerem Wirtschaftserfolg führen würde, verliefe über wohldurchdachte Versuche, ein Fundament, eine Grundlage der individuellen Geldverfügbarkeit durch ein begrenztes garantiertes Einkommen zu schaffen; dieses ließe sich je nach gesamtwirtschaftlicher Lage höher oder niedriger gestalten. Damit könnte man nicht nur den weiteren sozialen Umbrüchen im System der Erwerbsarbeit durch die derzeit rapide fortschreitende Digitalisierung begegnen, sondern auch größere Möglichkeiten eröffnen, Arbeit und Leben freier zu organisieren. Zweifellos stiegen damit ebenfalls die Nachfrage, danach die Investitionen und die Inflation. (Paul Kellermann, 10.11.2017)