Emmanuel Macron, Präsident

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Macron bei einem Besuch in Tourcoing im Norden Frankreichs.

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"Die Radikalisierung hat sich eingenistet, weil sich die Republik abgemeldet hatte." Mit diesem Satz rief Macron am Dienstag zu einem verstärkten Einsatz des Staates in seinen Problemvierteln auf. "Nie" werde er die Millionen von Banlieue-Einwohnern mit einigen Tausend Radikalisierten verwechseln, meinte der Präsident in Tourcoing im industriellen Norden, ohne den Begriff "Islamisten" in den Mund zu nehmen. Mehrere Tausend Radikalisierte seien aber immer noch zu viel.

Macron kündigte an, er werde Anfang kommenden Jahres einen "Aktionsplan gegen die Radikalisierung dieser Viertel" vorlegen. Der Ansatz ist weniger individuell als im jüngsten Antiterrorgesetz; bisherige Experimente mit der Deradikalisierung besonders junger oder besonders asozialer Gefährder haben sich zudem als nicht überaus erfolgreich erwiesen. Der Kampf gelte Macron zufolge eher der salafistischen Präsenz in den Vierteln. Das geschehe zunächst, indem die republikanischen Prinzipien wie auch das Sicherheitsbedürfnis der Anwohner besser respektiert würden, meinte Macron, der für seinen Auftritt bewusst den Tag nach dem zweiten Jahrestag der Bataclan-Anschläge (130 Tote) gewählt hatte.

Scheckheftpolitik gescheitert

Die Existenz tausender Radikalisierter zwinge aber auch die übrigen Franzosen, sich infrage zu stellen, meinte der Staatschef. Ohne es offen zu sagen, ließ er durchblicken, dass die in Frankreich bisher verfolgte Scheckheftpolitik zugunsten der Banlieue-Zonen gescheitert sei. Laut der Agentur für Städtebaurenovation (Anru) sind bis heute 75 Milliarden Euro in diese "cités" (Wohnsiedlungen) gesteckt worden, ohne die sozialen Probleme zu mindern.

Macron erhöht das Jahresbudget der Anru zwar selbst auf zehn Milliarden Euro im Jahr. Darüber hinaus plädiert er aber für einen umfassenden Ansatz, der die scharfen Grenzen zwischen den Einwandererghettos und dem übrigen Land aufbrechen soll. So schafft Macron etwa eine "Polizei der Alltagssicherheit". Diese neue Einheit aus 10.000 kaum bewaffneten Funktionären erinnert an die Quartierpolizei, die der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy vor zehn Jahren abgeschafft hatte, um dafür die ortsfremde Antikrawallpolizei aufzurüsten. Macron machte klar, dass die Alltagspolizisten vorwiegend selbst in den betroffenen Vierteln angeworben würden.

Jugendarbeitslosigkeit

Denn die höchste Priorität hat für den Staatschef die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in diesen Vierteln. Macron erinnerte an eine wenig beachtete Neuerung seiner bereits in Kraft getretenen Arbeitsmarktreform: Firmen werden mit 15.000 Euro auf drei Jahre subventioniert, wenn sie Banlieue-Bewohner aufgrund bestimmter Kriterien anstellen; die Hälfte des Betrages gibt es bei Teilzeitverträgen.

Unternehmen, die nordafrikanische Jobbewerber bei der Einstellung oder Beförderung diskriminieren, sollen nicht mehr nur bestraft werden, sondern gleichsam an der Pranger kommen: Die Namen der schlimmsten Sünder würden in Zukunft öffentlich gemacht, versprach Macron.

Die mindestens drei Aktionspläne, mit denen Macron die französischen Banlieues überzieht, zeugen von der ungebrochenen Energie des Präsidenten. Auch wenn sie nicht revolutionär sind und oft auf bestehenden Ideen aufbauen, blasen sie frischen Wind in eine alte Debatte – und vielleicht sogar in die betroffenen Viertel selbst. Anders als die meisten Staatschefs vor ihm vermochte Macron in seinem einstündigen Auftritt glaubhaft zu machen, dass sein Einsatz für die Chancengleichheit aller Einwohner kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern sehr ernst gemeint ist. (Stefan Brändle aus Paris, 14.11.2017)