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6,6 Millionen Euro hat der Schutz gegen Überflutungen am alten Hafen von Spakenburg gekostet. Um das Stadtbild nicht zu zerstören, fährt er nur im Notfall aus dem Boden.

Foto: AP / Mike Corder

Noch ist alles ruhig am alten Hafen von Spakenburg, einem pittoresken Fischerdorf rund 50 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Roeland Hillen steht direkt am Kai, umringt von Backsteinhäuschen mit weißen Giebeln. Vor ihm im Hafenbecken, gut zwei Meter tiefer, dümpeln alte Holzschiffe.

"Doch ein Sturm aus Nordwest mit Windstärke elf kann das Wasser bis über den Rand des Hafenbeckens peitschen", erklärt Hillen von Rijkswaterstaat, der nationalen Wasserbehörde der Niederlande. Zum letzten Mal war das 1916 der Fall: "Da wurden die Fischerboote von den Fluten in die umringenden Häuserfassaden geschmettert!"

Das ist zwar schon 100 Jahre her. Aber mit solchen Fluten müssen die Niederländer aufgrund des Klimawandels auch in Zukunft rechnen: Denn die Regenfälle sind extremer geworden und der Meeresspiegel steigt: 23 Zentimeter waren es in den letzten 125 Jahren, also jedes Jahr knapp zwei Millimeter. Bis 2100 könnte der Meeresspiegel bis zu einen Meter steigen. Vorausgesetzt, die Ziele des Klimavertrags von Paris werden erreicht und die Erde hat sich bis dahin um nur zwei Grad erwärmt. Sonst steigt er noch höher. Und noch schneller als erwartet.

300 Meter lange Sperre

Doch dagegen sind die gut 20.000 Einwohner von Spakenburg nun gewappnet und mit ihnen alle Menschen im Umkreis von 15 Kilometern. Denn ihr Dorf hat die längste flexible Flutbarriere der Welt bekommen. Eine, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn man sie braucht. Ansonsten ist sie unsichtbar.

Man muss schon genau hinsehen, um den 300 Meter langen Streifen im Kopfsteinpflaster zu erkennen, der sich rund um das Hafenbecken zieht. Nur zwölf Zentimeter dick sind sie, die Kunststoffschotten, die hier in die Straße eingelassen wurden, eineinhalb Meter hoch und einen Meter breit. Bei Hochwasser werden sie bis zu 80 Zentimeter nach oben getrieben und formen eine 300 Meter lange Flutbarriere.

Dazu wurden im Hafenbecken kleine Öffnungen angebracht. Wenn das Wasser steigt, wird es durch diese Öffnungen nach innen in den Schacht geführt, wo die Schotten liegen. Und die werden dann von den Wassermassen nach oben gedrückt. "Ein ebenso einfaches wie geniales System", sagt Hochwasserschutzexperte Hillen. Gesamtkosten: 6,6 Millionen Euro. "Wir konnten hier mitten im Dorf ja keinen Erdwall bauen, das hätte das Ortsbild total zerstört", sagt er, als ein lautes Brummen ertönt: Der nationale Wassergesandte des Landes hat das Startzeichen für eine Testdemonstration gegeben.

China übernimmt Barrieren

Henk Ovink heißt er und reist im Auftrag von Den Haag durch die ganze Welt, um das Know-how der Niederländer in Sachen Hochwasserschutz zu exportieren. Und egal, ob New York, New Orleans, Thailand oder Australien: Der Rat der Niederländer ist gefragt. Auch dafür sind die Spakenburger das jüngste Beispiel: Flexible Flutbarrieren nach ihrem Vorbild werden inzwischen auch in China, Vietnam und Großbritannien gebaut. "Wir setzen auf maßgeschneiderte Lösungen, so können wir Sicherheit und Lebensqualität unter einen Hut bringen", so Ovink.

Zufrieden schaut er zu, wie sich rund um das Hafenbecken die Flutbarriere langsam aus dem Straßenpflaster nach oben schiebt. Nur zehn Minuten dauert es, und sie hat sich in voller Höhe aufgerichtet.

Dass die Niederländer in Sachen Hochwasserschutz eine führende Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr. 400 Millionen Euro stellt die Regierung dafür inzwischen jedes Jahr zur Verfügung. Der Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Denn ein Drittel der Niederlande liegt gerade einmal auf Meeresspiegelniveau und ein weiteres Drittel darunter – stellenweise bis zu sechs Meter tief. Ohne Deiche und Dämme, Pumpen und Flutwehre würden zum Beispiel auf dem nationalen Flughafen Schiphol bei Amsterdam die Nordseewellen gut vier Meter über den Köpfen der Passagiere zusammenschlagen. Und das bei einem Meeresspiegel, der schneller als erwartet steigt. Wird sich die alte Seefahrernation trotz Klimawandels über Wasser halten können?

"Ich bin Optimist, aber kein Wahrsager", stellt Wassergesandter Ovink klar. "Ich kann nicht garantieren, dass wir trockene Füße behalten. Doch wenn wir uns an die Absprachen von Paris halten, könnten wir es schaffen." (Kerstin Schweighöfer aus Spakenburg, 16.11.2017)