Straßburg/Warschau/Wien – Wenn in den Institutionen der EU derzeit über die Rechtsstaatlichkeit in Polen diskutiert wird, dann gehen verlässlich die emotionalen Wogen hoch. So auch wieder am Mittwoch, als das Europäische Parlament in Straßburg über die mögliche Einleitung eines Rechtsstaatlichkeitsverfahrens gegen Warschau debattierte.

An martialischen Formulierungen herrschte auch diesmal kein Mangel, etwa wenn ein polnischer Abgeordneter aus den Reihen der rechtsnationalen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einen "Kreuzzug gegen Polen" beklagte.

Breite Mehrheit

Anders als ihr Ton waren Anlass und Ergebnis der Debatte formal betrachtet eher unspektakulär. Konkret ging es darum, ob das Parlament einen Vorschlag erarbeiten soll, mit dem dann der Europäische Rat aufgefordert wird, Maßnahmen nach Artikel 7 des EU-Vertrags zu treffen, sprich ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen auszulösen.

Der Antrag wurde schließlich mit breiter Mehrheit angenommen. Damit liegt der Ball nun beim Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, der sich erst mit der Ausarbeitung eines solchen Vorschlags befassen muss.

Die Liste der Vorwürfe gegen die Regierung in Warschau ist lang. In erster Linie ist es die polnische Justizreform, die in Brüssel und Straßburg Besorgnis erregt. Dabei geht es um die Politisierung des Verfassungsgerichts, um den bereits seit Antritt der PiS-Regierung vor zwei Jahren ein heftiger Streit tobt, sowie um kürzlich erfolgte Schritte, die das Oberste Gericht vermehrt unter Regierungskontrolle bringen sollen.

Untergrabung der Gewaltenteilung

Kritiker sprechen dabei von einer Untergrabung der Gewaltenteilung, die Führung in Warschau wiederum beruft sich auf die absolute Mehrheit der PiS. Aus Österreich sprang die FPÖ der polnischen Regierung bei: Sie erklärte bereits tags zuvor, man werde die Entschließung gegen Polen nicht mittragen: Die Besetzung von Richtern sei im Prinzip eine innerstaatliche Angelegenheit.

Doch auch andere Themen sorgen immer wieder für Unmut, etwa die politische Einflussnahme auf Medien oder die Versuche, das ohnehin restriktive Abtreibungsrecht in Polen weiter einzuschränken.

Das Europäische Parlament fordert Polens Regierung zudem auf, die "fremdenfeindliche und faschistische Demonstration" am Samstag in Warschau "aufs Schärfste zu verurteilen". Premierministerin Beata Szydło kann mit derlei Vorwürfen nur schwer leben – zumal diese auch von polnischen Oppositionsabgeordneten kommen: "Politiker, die ihr eigenes Land in internationalen Foren verleumden, sind nicht würdig, dieses zu vertreten", twitterte sie am Mittwoch.

Ein Verfahren nach Artikel 7 kann bis zum Entzug der Stimmrechte in der EU führen. Der Weg dorthin führt jedoch über das Prinzip der Einstimmigkeit – und damit nicht an Ungarn vorbei. Dort hat die ebenfalls nationalkonservative Regierung bereits angekündigt, einen solchen Schritt nicht zu unterstützen. (Gerald Schubert, 16.11.2017)