Ist Resilienztraining zu begrüßen oder unnötiger Stress für Kinder?

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Die zwölfjährigen Zwillinge Oskar und Elena besuchen die gleiche Klasse. Während Elena gerne liest und sich mit ihren Freundinnen trifft, bastelt Oskar jede freie Minute mit seinem Vater. Nächste Woche wird Papa aber ausziehen – die Eltern lassen sich scheiden. Während Elena sich so verhält, als würde sich nichts verändern, hat Oskar seine Freude daran verloren, mit dem Papa zusammen zu sein. Er ist immer öfter aggressiv und spielt in seiner Freizeit nur mehr Playstation.

Der neunjährige Ruah ist zusammen mit seiner Mama vor einigen Monaten nach Österreich geflohen. Was mit seinem Papa und den beiden großen Brüdern ist, wissen Ruah und seine Mama nicht. Oft, wenn die anderen Kinder in der Pause spielen, sitzt er auf seinem Sessel und schaut ihnen traurig dabei zu.

Jessica und ihre kleine Schwester Marielle wohnen in einer Pflegefamilie. Die Sieben- und Fünfjährige haben zusammen ein Zimmer. Jessica besucht die erste Klasse, freut sich sehr, dass sie so viel Neues erlebt, und berichtet jeden Tag ganz aufgeregt davon. Sie hat sich gut eingelebt. Marielle dagegen ist sehr zurückgezogen und weint viel. Der Umgang mit anderen Menschen fällt ihr sehr schwer. Meist spielt sie im Kindergarten alleine oder zeichnet ein Bild.

Was ist Resilienz?

In den vergangenen Jahren hat der Begriff Resilienz einen Aufschwung erlebt. Er bedeutet Widerstandsfähigkeit oder Widerstandskraft. So spricht man in der Psychologie davon, dass der Mensch gegenüber als negativ definierten äußeren Einflüssen resistenter gemacht werden kann. Ein resilienter Mensch hat die Fähigkeit entwickelt, mit Krisen, negativen Einflüssen und traumatischen Erlebnissen gut umgehen zu können, daran zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.

Beschäftigt man sich etwas ausgiebiger mit dem Gedanken der Resilienz, lässt sich feststellen, dass es unter anderem um eine Bewertung und den Blickwinkel auf eine Situation oder ein Geschehen geht. Resilienz ist somit keine Frage des Trainings, sondern der individuellen Persönlichkeitsmerkmale.

Hinter Resilienzförderung scheint der Glaube zu stehen, Kinder vorbeugend zu mehr Resilienz zu erziehen, damit diese in der Gesellschaft bestehen können. Es ist der angstmachende Gedanke der Eltern, dass dem Kind etwas Schlimmes widerfahren könnte. Für solche Momente wollen sie das Kind mit Resilienz ausstatten. In manchen Kinderbetreuungseinrichtungen wird Resilienztraining angeboten, um die Widerstandskraft gegen Stress, äußeren Druck und Belastungen zu stärken.

Welchen Risikofaktoren das Kind ausgesetzt ist

Es stellt sich die Frage, welchen Risikofaktoren Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, dass sie eine so viel größere Widerstandsfähigkeit benötigen als ihre Eltern und Bezugspersonen. So wollen Eltern und Bezugspersonen daran glauben, dass es möglich ist, für Kinder und Jugendliche vorbeugende Trainingsmaßnahmen zu ermöglichen, damit diese sich allen Widrigkeiten zum Trotz zu gesunden Menschen ohne massive Probleme entwickeln können.

Wenn Eltern ihre Kinder in das Training schicken, erwarten sie, dass sie dieses auch gebrauchen und auf das erlernte Wissen zurückgreifen können – vor allem wenn der Stress oder der Druck von außen zu groß wird.

Erwachsene als Ursache

Einerseits sind es das Zusammenleben in der Familie und mit Gleichaltrigen in Kindergarten oder Schule sowie die alltäglichen Anforderungen, die Kindern und Jugendlichen immer wieder Probleme bereiten. Andererseits sind es die Erwachsenen, die die Lebenswirklichkeit der Kinder bestimmen. Sie sind es, die den Stress und die Widerstandsfähigkeit eines Kindes mitunter bis an die Grenze bringen. Es ist ihre Definition von Erfolg, von glücklichem Leben und davon, wie gutes Leben gelingen kann. Es sind also im Wesentlichen die Vorgaben der Großen, denen die Kleinen gerecht werden müssen.

Das Problem an der Sache ist, dass Eltern ihre Kinder zum Resilienztraining zwingen, wohlwissend, dass es die Gesellschaft ist, die die Widerstandsfähigkeit gegen Stress, Druck und negative Einflüsse notwendig macht.

Es geht um Beziehung

Was Kinder und auch Erwachsene zum Leben brauchen, ist die Beziehung zu anderen Menschen. Es sind die Erwachsenen, die ihre Kinder und Jugendlichen mit dem Allernotwendigsten versorgen. Sie sind es, die Beziehungen ermöglichen, mit ihnen macht das Kind seine ersten Beziehungserfahrungen, und diese prägen es für weitere.

In einer gesunden Beziehung braucht es kein Training der Widerstandsfähigkeit. Es braucht lediglich die Erfahrung, dass es Menschen gibt, die dem Kind zur Seite stehen und es so akzeptieren, wie es ist, und dass es sich weiterentwickeln kann. Die Fürsorge der Eltern und ihr Beistand machen dem kleinen Kind Mut, die Welt zu entdecken. Dabei machen sie die Erfahrung, dass durch die Anwesenheit einer vertrauten Person viele Erlebnisse leichter bewältigbar sind.

Resilienzförderung – vielleicht doch sinnvoll?

Bei aller kritischen Betrachtung des Themas Resilienztraining kann durchaus die Möglichkeit bestehen, dass diese Förderung auch positive Effekte im späteren Leben hat. Es geht darum, dass Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene sich mit sich selbst, ihren Gefühlen und ihren Fähigkeiten auseinandersetzen und dadurch ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstvertrauen stärken. Dass sie Ideen entwickeln, wie sie die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sinnvoll einsetzen können. So kann es sein, dass es in den verschiedensten negativ besetzten Situationen leichter wird, individuelle Schlussfolgerungen zu ziehen, aufgrund derer eine Weiterentwicklung möglich wird.

Ihre Erfahrung?

Was halten Sie von der Idee eines Resilienztrainings? Wie stärken Sie die Resilienzfähigkeit Ihrer Kinder? Welche Strategien und Kompetenzen haben Sie für den Umgang mit schwierigen Situationen? Posten Sie Ihre Erfahrungen, Fragen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 17.11.2017)