Wien – Spektralmusik: Das war in den späten 1970er Jahren eine Verheißung. Eine Gruppe junger Komponisten in Paris hatte für sich die "Sackgasse" des Serialismus, als die die rigide Rationalität der Nachkriegsavantgarde vielfach empfunden wurde, überwunden. Altmeister Pierre Boulez sprach später als Galionsfigur der strengen Methode freilich von einem notwendigen "Tunnel", durch das man erst einmal durchmusste, und ohne die vorangegangene extreme Differenzierung der Tonhöhen, Rhythmen und Dauern, ohne die visionären Experimente mit Raum und Form wäre das Folgende in der Tat kaum vorstellbar gewesen.

Die Spektralisten jedenfalls suchten ihr Heil in der Obertonreihe, analysierten komplexe Klänge per Computer – und komponierten deren Mikrostrukturen sozusagen aus. Gérard Grisey war der vielleicht wirkmächtigste von ihnen. Sein monumentaler Orchesterzyklus "Les Espaces Acoustiques", entstanden zwischen 1974 und 1985, kann als Hauptwerk der gesamten Strömung gelten.

Von der Solobratsche des ersten Satzes führt eine gewaltige Steigerung über mehr als 100 Minuten, Schritt für Schritt wird die Zahl der Musiker erweitert: bis zur großen Orchesterbesetzung, zu der schließlich auch noch vier schmetternde Solohörner treten. Vieles davon ist sinnlich unmittelbar nachvollziebar, wenn dem insistierend wiederholten Grundton immer andere spektrale Ausschnitte folgen, die sich dann allerdings auch so weit verzweigen, dass sie einerseits eine enorme Unschärfe, andererseits einen reizvollen Sog entwickeln.

Hohes Maß an Souveränität

All das wurde in der Wiedergabe bei Wien Modern durch die Webern Kammerphilharmonie und das Webern Ensemble von der Musikuniversität Wien unter der Leitung von Simeon Pironkoff sowie den Solobratschisten Rafał Zalech mit einem hohen Maß an Souveränität bewältigt – und außerdem versuchte man, auch den eher unbekannten Details der Partitur gerecht zu werden.

Denn Grisey hat eine Reihe von Effekten vorgesehen, die die Grenzen eines Orchesterwerks auch anderweitig sprengen, wenn Lichtblitze über das Orchester wandern, ein Musiker weit zum Beckenschlag ausholt, der dann aber gerade nicht ertönt, während stattdessen von außen der Pausengong zu hören ist usw. – clowneske Gags, die belustigen oder irritieren können. Vielleicht haben sie ihre Wirkung in den letzten Jahrzehnten bereits eingebüßt – für die fantastischen Klangwelten Griseys gilt dies freilich nicht. Großer Applaus im Großen Konzerthaus-Saal. (Daniel Ender, 17.11.2017)