Die Republik wird 100. Bei der Vorstellung ihrer Bücher zum Gedenktag arbeiteten die beiden renommierten Historiker Hannes Leidinger und Walter Rauscher spannende Aspekte zwischen damals und heute heraus. Leidinger, der am Institut für Zeitgeschichte lehrt, überrascht in seinem Werk Der Untergang der Habsburgermonarchie (Haymon-Verlag) etwas mit dem Befund, dass der "Tod des Doppeladlers" "gewissermaßen erst in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges beschlossene Sache war".

Bis dahin "scheint (es) keinen Bereich zu geben, für den sich nicht ebenso viele Pro- wie Contra-Argumente in Bezug auf die Überlebensfähigkeit des Gesamtreiches finden lassen". Erstaunlich sei die Bereitschaft der Bevölkerung gewesen, ungeheure Entbehrungen zu ertragen und doch dem Kaiser weiterhin loyal zu bleiben. Daraus, dass sozusagen die DNA des Habsburgerreiches, die persönlichen Verbindungen, die gemeinsame Kultur, die wirtschaftlichen Beziehungen, noch lange nach der Abtrennung der Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken etc. weiterbestanden hätten, könne man auf ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten schließen.

Laut Leidinger sei es nicht so gewesen, dass die Geschichte der Donaumonarchie als übernationales Gebilde schon seit Ende des 19. Jahrhunderts unausweichlich zum Zusammenbruch führen musste. "Geschichtsdeterminismus", also der Glaube an eine geschichtliche Unabwendbarkeit, sei immer falsch. Und, so der interessante Schluss, gelte auch für ein anderes übernationales Gebilde, die EU, keineswegs, dass es auseinanderfallen müsse, wie viele offene und verkappte Nationalisten prophezeien. Man dürfe nur nicht – wie Österreich-Ungarn – den Moment für Reformen verpassen.

Walter Rauschers Die verzweifelte Republik. Österreich 1918-1922 (Kremayr & Scheriau) benennt als Geburtsfehler der Ersten Republik, dass sie "allen demokratischen Lagern lediglich als Provisorium galt": den gemäßigten Linken als Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus, den Christlichsozialen als Grundlage für eine katholische Leitkultur, dem nationalen Lager als Brückenkopf nach Deutschland.

Sie war nicht, so wie heute, eine Konsens-, sondern eine Konfliktdemokratie mit unvereinbaren Ideologien. Und man dachte auch hier geschichtsdeterministisch: "Die Politik selbst hatte einem neuen – drastisch verkleinerten – Österreich bereits bei der Gründung seine Lebensfähigkeit abgesprochen. Die Presse (...) übte sich in einem unerschütterlichen Zukunftspessimismus. (...) Der Ersten Republik fehlte ein eigenes, österreichisches Nationalbewusstsein. Die Idee einer eigenen österreichischen Nation galt als habsburgisch-reaktionär, als völlig gegen den Zeitgeist." Das hat sich heute gründlich geändert, oder?

Allerdings werden die 100-Jahr-Feiern wohl mit einer Regierungspartei ablaufen, in der es vor deutschnationalen Burschenschaftern nur so wimmelt; und die "Marko-Germania"-Burschenschaft des möglichen Ministers Norbert Hofer "die österreichische Nation als geschichtswidrige Fiktion" ablehnt ... (Hans Rauscher, 17.11.2017)