Demokratie impliziert einen ständigen Kompromiss zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen des Landes.

Grafik: Michael Murschetz

Es hat gute Gründe, warum sich die parlamentarische und nicht die plebiszitäre Demokratie in allen EU-Staaten durchgesetzt hat. Auch Österreich hat sich von Anfang an für ein System entschieden, in dem die parlamentarische Demokratie zwar durch einige plebiszitäre Komponenten ergänzt und dadurch in manchen Fällen korrigiert oder gebremst, aber nicht beiseitegeschoben werden kann. Ich denke an die Institute des Volksbegehrens, der Volksbefragung und der Volksabstimmung. Entscheidend ist aber, dass die parlamentarische Willensbildung durch diese Einrichtungen in ihrer bestehenden Form nicht übergangen werden kann. Dem Volksbegehren folgt die parlamentarische Beratung, der Volksabstimmung muss die parlamentarische Beratung vorausgehen, und die Volksbefragung dient zur parlamentarischen Beratung.

Seit einiger Zeit wird verstärkt ein Modell diskutiert, dem zufolge eine beliebige Gruppe von Menschen, in der Regel unterstützt von auflagenstarken Medien, als erster Schritt in Form eines Volksbegehrens mit einer Mindestzahl von Unterschriften eine parlamentarische Initiative ergreifen kann. Das ist der bestehende und durchaus vertretbare Zustand.

Entsteht aber zwischen dem Inhalt dieser Initiative und der Mehrheitsmeinung im Nationalrat ein Widerspruch, weil die Mehrheit des Nationalrates Abänderungen vornehmen möchte oder sich an europaweite Zielsetzungen gebunden fühlt oder Kompromisse für zweckmäßig oder notwendig hält, die von den Initiatoren des Volksbegehrens nicht gewünscht werden, oder die finanziellen Auswirkungen bedenklich sind, dann soll in Hinkunft (nach einer Verfassungsänderung) darüber in einer Volksabstimmung bindend entschieden werden.

Standpunkt der Mehrheit

Wir wissen ganz genau, dass die parlamentarische Demokratie der Schwarz-Weiß-Demokratie bzw. der Ja-Nein-Demokratie deshalb überlegen ist, weil mehrheitsfähige Interessen oder Emotionen nicht immer identisch mit der besten Lösung für das Land sind. Und es gibt Mehrheitsinteressen, die im Interesse des Landes noch verbessert werden können und sollen, indem auch Expertenwissen oder Minderheitsinteressen in einem parlamentarischen Prozess in den Standpunkt der Mehrheit einfließen.

Und schon gar nicht bringt das soeben geschilderte System die besten Resultate, wenn sich die Mehrheit ohne konkrete Spielregeln nach dem Prinzip der lautesten Stimme in einem emotionalisierten öffentlichen Raum bildet.

Es soll ja in anderen Ländern – natürlich nicht in Österreich – schon vorgekommen sein, dass die Unterstützung oder Ablehnung von Personen oder politischen Projekten durch Boulevardmedien in einem "unerklärlichen Zusammenhang" mit der Höhe von Inseratenaufträgen und Ähnlichem stand bzw. steht.

Im Übrigen hat schon der Schöpfer unserer demokratischen Verfassung, Hans Kelsen, darauf hingewiesen, dass "Demokratie nicht etwa Diktatur der Mehrheit bedeutet", sondern einen ständigen Kompromiss zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen des Landes impliziert. Erst dieses Verständnis von Demokratie ermöglicht es, den historischen Gegensatz von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung so weit wie möglich aufzulösen.

Die Verantwortung für einen allfälligen Umbau unseres Systems ist selbstverständlich eine vornehmlich politische. Aber es bedarf immer auch eines juristischen Regelwerks. Es liegt daher auch in der Verantwortung der Juristen, die jeweiligen Konsequenzen aufzuzeigen und dabei ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

Verantwortung, Unabhängigkeit und Sachkenntnis sind das magische Dreieck eines Juristen, dem man Vertrauen schenken kann und das für einen Rechtsstaat unverzichtbar ist. (Heinz Fischer, 17.11.2017)