Unter Medizinstudierenden ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt in der Familie zu haben, 70-mal höher als im Rest der Bevölkerung. Der Beruf wird Ärztekindern von klein auf nahegebracht.

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Wien – Christina Baumgartingers Vater ist Arzt. Und ihre Mutter. Ihre Schwester hat vor kurzem ihr Medizinstudium abgeschlossen. Nicht zuletzt deshalb hat sich Baumgartinger eigentlich vorgenommen, nicht diesen Weg einzuschlagen. Gelandet ist sie aber trotzdem dort, wo ihre Eltern auch waren: im Medizinstudium. Die gebürtige Oberösterreicherin studiert seit zwei Jahren in Wien. Baumgartinger hat sich anfangs neben Medizin auch für Psychologie und Biologie eingeschrieben. Nachdem der Aufnahmetest aber gleich geklappt hat, sei das hinfällig gewesen.

Zumindest unterbewusst sei die 20-Jährige von ihren Eltern beeinflusst worden: "Allein dadurch, dass ich gesehen habe, dass es ein sehr erstrebenswerter Beruf ist." Man arbeite mit Menschen, die einen für seine Arbeit sehr schätzen würden. "Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir öfter Patientinnen und Patienten meines Vaters getroffen haben, wenn wir früher als Familie in der Stadt unterwegs waren", erzählt die angehende Medizinerin. "Die haben sich immer herzlich bei ihm bedankt." Mit der Medizin ist sie jedenfalls glücklich: "Die Medizin hat mich mit ihren vielfältigen Themen sehr interessiert", erzählt die Studentin.

Erste österreichweite Studie

Baumgartingers Karriereweg ist typisch: Welches Fach man studiert, wird oft von den Eltern beeinflusst. So weiß man schon lange, dass es in der Medizin häufig zur Staffelübergabe von einer Generation zur nächsten kommt. Hat man Ärzte in der Familie, steigen aber nicht nur die Chancen, Medizin zu studieren. Es wird auch wahrscheinlicher, dass man in der Psychologie landet. Zu diesem Schluss kommen Ulrich Tran und Martin Voracek von der Fakultät für Psychologie an der Uni Wien. Sie untersuchten jeweils einen ganzen Jahrgang von Studienanfängern der Medizin und der Psychologie. Erstmals kooperierten alle öffentlichen Unis Österreichs, an denen eines der beiden Fächer gelehrt wird, um die Untersuchung möglich zu machen.

Die Studie zeigt, dass zwischen den Fächern der Psychologie, der Medizin und der Psychotherapie nicht nur ein inhaltliches, sondern auch ein familiäres Naheverhältnis besteht. Studiert man Medizin, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt in der näheren Verwandtschaft zu haben, 70-mal höher als im Rest der Bevölkerung. Immerhin noch 30-mal höher ist die Wahrscheinlichkeit, Ärzte in der Familie zu haben, wenn man Psychologie studiert. Die Wahrscheinlichkeit, einen Psychotherapeuten oder Psychologen in der Familie zu haben, ist unter Psychologiestudierende 50-mal höher als im Rest der Bevölkerung.

Auch viele Ärzte-Eltern in Psychologie

Zwar findet man unter Medizinstudierende mehr mit Ärztevätern als unter Psychologiestudierende, es gibt aber eine nicht zu unterschätzende Menge an Psychologiestudierende, die ebenfalls Väter haben, die Ärzte sind. Ob das damit zu tun hat, dass Psychologie für einige, die den Medizin-Aufnahmetest nicht geschafft haben, als Ausweichstudium dient, könne man nicht zweifelsfrei sagen, meint Studienautor Tran im Gespräch mit dem UniSTANDARD. Es sei aber naheliegend: Die Medizinstudierenden waren zum Zeitpunkt der Untersuchung durchschnittlich jünger als ihre Vergleichsgruppe unter den Psychologiestudierenden. Das könnte also bedeuten, dass einige zuerst Medizin ausprobiert haben und erst über Umwege in der Psychologie gelandet sind. Mit Zahlen belegen könne man das allerdings nicht.

Ist es nicht grundsätzlich so, dass Kinder oft in die Fußstapfen der Eltern treten? "Das würde man sich denken, ist aber im akademischen Feld tatsächlich in vielen Fällen gar nicht belegt", sagt Tran. Meist ist es der Vater, der die Profession weitergibt: Jeder fünfte aller untersuchten Medizinstudierenden hat einen Arzt als Vater. Konnte in früheren Studien noch festgestellt werden, dass mehr Söhne als Töchter dem Beispiel der Väter folgen, kann man das so nicht mehr sagen: "Laut den vorliegenden aktuellen Daten in Österreich scheint sich das Muster aber aufgelöst zu haben", berichtet Tran. Während früher den Söhnen etwa die Praxisübernahme in Aussicht gestellt wurde, scheint dies heute nicht mehr so der Fall zu sein.

Welche konkreten Auswirkungen die Verwandtschaftsverhältnisse auf die Studierenden haben können, ist noch nicht völlig geklärt und auch schwer zu erfassen. Man könne aber damit rechnen, dass die Studierenden mit entsprechendem Hintergrund einen Info-Vorsprung hätten, sagt Tran: "Sie kommen wahrscheinlich früher dazu, sich für ihr Studium zu entscheiden." Die Studienanfänger wüssten dadurch besser, auf welches Arbeitsumfeld man sich einstellen kann. Das könne einen Vorteil darstellen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wäre, dass Ärztekinder in den Beruf gedrängt werden könnten. Die Ableitung wäre also, dieses Wissen in Mentoring-Programme zu inkludieren, meint Tran.

Hintergrund auch ungünstig

Bei der Studienberatung wiederum sollte man im Hinterkopf behalten, dass der familiäre Hintergrund auch ungünstig für die Anfänger sein kann. So könnten manche früher als später dazu bewegt werden, eine andere Laufbahn einzuschlagen als die, die für sie vorgezeichnet ist.

Aber nicht nur auf das einzelne Studienfach kann die Familie Einfluss haben: Haben die eigenen Eltern einen Abschluss an einer Universität erworben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dies auch selbst zu tun. Das stellen die Autoren der OECD-Studie "Bildung auf einen Blick", deren aktuelle Ausgabe im September präsentiert wurde, erneut fest. Österreich wird in Hinblick auf den Faktor "Bildungsmobilität" seit Jahren ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Der Bildungsaufstieg gelingt hierzulande noch immer eher selten. Nur zehn Prozent der 30- bis 44-Jährigen mit Eltern ohne Uni-Abschluss schaffen es, selbst einen zu machen. Im OECD-Schnitt sind es doppelt so viele.

Kritiker der OECD-Studie bringen vor, dass man die allgemein niedrige Akademikerquote im Land in Betracht ziehen müsse, die im OECD-Vergleich am unteren Ende der Skala liegt. Setze man diese in Relation, käme man auf eine höhere Anzahl an Bildungsaufsteigern, meint etwa der Thinktank Agenda Austria. Für die Medizin zeigen die Daten: Man kommt dem Traum des weißen Kittels leichter näher, wenn er von Kindheit an vertraut ist. (Vanessa Gaigg, 18.11.2017)