Inklusion heißt, es ist normal, verschieden zu sein.

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Der 3. Dezember ist offiziell der "Tag der Menschen mit Behinderung"; um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Ja, dieser Tag hat seine Berechtigung, und es ist auch wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es Menschen gibt, die mit einer körperlichen Beeinträchtigung leben, mehrfach behindert sind oder auch eine Lernbehinderung haben. Und darauf, dass einige dieser Menschen noch immer eher "nur dabei" als mittendrin in unserer Gesellschaft sind.

Aber warum muss es diesen Tag im Jahr 2017 immer noch geben? Sollten wir doch bereits in einer inklusiven Gesellschaft leben, die allen gleiche Rechte und Chancen gewährt. Dies besagt nicht zuletzt auch die UN-Behindertenrechtskonvention, welche 2008 in Kraft getreten ist. Dieses Übereinkommen der Vereinten Nationen verpflichtet die Staaten, für Menschen mit Behinderungen die Menschenrechte zu gewährleisten. Doch in meinem beruflichen Alltag als Sonderpädagogin wird mir immer wieder bewusst, dass wir davon noch weit entfernt sind.

Mitleidig belächelt, hilflos ignoriert

Es gibt viel zu wenige Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung im öffentlichen Leben. Viel zu oft sind Kinder mit Behinderung in besonderen Schulen, erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung in besonderen Einrichtungen. Wenn ich mit meiner Schulklasse im öffentlichen Raum unterwegs bin, sind die Reaktionen der Menschen nur selten unfreundlich. Gewisse Reaktionen sind jedoch immer da. Die Kinder werden liebevoll oder fast mitleidig belächelt oder hilflos ignoriert. Die Menschen schenken den Rollstühlen mehr Aufmerksamkeit als den wunderbaren Kindern, die drinnen sitzen. Oft lässt sich beobachten, dass viele Personen unsicher sind und offenbar Angst haben, etwas falsch zu machen.

Um Unsicherheit abzubauen, brauchen wir Begegnungspunkte. Um diese zu ermöglichen, brauchen wir Barrierefreiheit. Menschen mit Beeinträchtigung muss eine uneingeschränkte Teilnahme möglich sein. Ja, es gibt Rampen, es gibt Lifte und Behindertenparkplätze; es gibt aber auch zu hohe Gehsteigkanten und auch schwer zu verstehende Erklärungen in öffentlichen Einrichtungen. Wege, die ich allein, ohne zu überlegen, rasch zurücklege, sind für manche Menschen manchmal vor allem eines: mühsam! Und zwar nicht, weil diese Menschen behindert sind, sondern weil sie aufgrund vieler noch bestehender Barrieren gehindert werden.

Individuelle Erfolge

In unserer Gesellschaft sollte man möglichst erfolgreich sein. Erfolg wird oft definiert durch unsere Fähigkeiten, den Beruf und die finanzielle Unabhängigkeit. Aber wer oder was entscheidet über den Wert einer erbrachten Leistung? Die Lernerfolge meiner Schülerinnen und Schüler lassen mein Herz höher schlagen und machen mich unglaublich stolz. Das kann der eine Buchstabe sein, der gemerkt wurde, oder aber auch der eine Löffel, der beim Mittagessen selbstständig zum Mund geführt wurde; alles individuelle Erfolge, die wertvoll sind.

Meine Schülerinnen und Schüler sind alle auf ihre Art und Weise besonders. Ihr Bedürfnis nach adäquater Bildung und uneingeschränkter Teilhabe an der Gesellschaft sind keineswegs etwas Besonderes, sondern ihr Recht. In einer inklusiven Gesellschaft hat ein "das ist voll behindert" keinen Platz im Wortschatz der Menschen. Es wird nicht zwischen behindert oder nichtbehindert unterschieden. Menschen werden nicht auf ein einziges Merkmal reduziert, sondern mit all ihren Fähigkeiten wahrgenommen.

Barrieren abbauen

Um Inklusion zu leben, müssen wir weg von dem Gedanken, eine Gruppe, eine Minderheit, in "unsere" Gesellschaft zu integrieren. Wir müssen die Barrieren in unseren Köpfen abbauen, unsere Haltung ändern und damit eine Gesellschaft schaffen, die für alle die gleichen Chancen gewährleistet. Eine Gesellschaft, in der es normal ist, verschieden zu sein. (Greta Riedl, 3.12.2017)