Der deutsche Tenor Attilio Glaser und die französische Mezzosopranistin Anaïk Morel singen sich in Jules Massenets "Werther" (Regie: Vincent Huguets) in den Rausch ihrer unerfüllten Liebe.

Foto: Karlheinz Fessl

Klagenfurt – Man hebt den Vorhang und geht auf die andere Seite. So einfach ist der Freitod, redet sich Werther in Jules Massenets gleichnamiger Oper ein. Es braucht dann aber doch vier Vorhänge, und die blutige Bescherung am Weihnachtsabend hat die angeblich so geliebte Charlotte.

Die inhaltlich von Johann Wolfgang Goethes Romanvorlage ziemlich abweichende, musikalisch allerdings bestrickend schöne Oper des französischen Komponisten ist jetzt am Stadttheater Klagenfurt in einer stimmlich hervorragend besetzten und szenisch hochmotivierten Neuinszenierung zu erleben.

Der deutsche Tenor Attilio Glaser und die französische Mezzosopranistin Anaïk Morel singen sich in den Rausch ihrer unerfüllten Liebe, die der ehemalige Patrice-Chéreau-Assistent Vincent Huguet da und dort mit Überraschungen bebildert.

Hübsche Details

Im Haus des verwitweten Amtmanns wachsen drei Linden, von denen die dritte am Ende stürzt. Karl Huml blättert als Hausherr nicht in Akten, sondern schwingt eine Palette. Der Hobbymaler scheint gerne Monet zu kopieren, sodass im Hintergrund statt Butzenscheiben ein großformatiges Seerosenbild prangt.

Auch Werther, im Aufzug ohnedies an einen Künstler aus Barbizon erinnernd, zeichnet leidenschaftlich. Zu dem eingangs erwähnten Satz vom Vorhang wirft er eine Rose vor sich hin, als würde er sie sich selbst ins Grab nachwerfen.

An solchen hübschen Details ist Vincent Huguets Inszenierung reich. Lotte hält Werthers Briefe unter dem Badvorleger versteckt. Ihre lebenslustige Schwester, die von Massenets Librettisten erfundene Sophie (Keri Fuge), schmeißt mit Blumen um sich.

Sensible musikalische Umsetzung

Lorenzo Viotti, ein Jungstar am Pult, hält das Kärntner Sinfonieorchester zu einer durchgehend sensiblen Umsetzung der reich ziselierten, durch und durch lyrischen Partitur an. Bis Werther, dessen egomane Gefühlswallungen von Anfang an die Grenze der sexuellen Belästigung schrammen, im Wald unter den Tränen Charlottes sein Leben aushaucht, dauert es zwar fast drei Stunden. Aber musikalisch ist jede Minute davon ein Genuss.

Im dritten Akt dieser "Kammeroper aus vier Duetten", wie sie ironisch auch bezeichnet wird, wachsen das Orchester, Anaïk Morel und Attilio Glaser vollends über sich hinaus. Es ist ein Glücksfall, wenn ein Theater sein Publikum mit so intensiven musikalischen Momenten beschenken kann. (Michael Cerha, 22.11.2017)