Wien/Amman – Die Lebensbedingungen von hunderttausenden Flüchtlingen verbessern und gleichzeitig Tonnen an Kohlendioxid (CO2) sparen: In Jordanien wird das umgesetzt. Rund 80.000 Syrer leben im Flüchtlingscamp Zaatari im Norden Jordaniens. Damit ist der unwirtliche Ort, der früher von der jordanischen Luftwaffe genutzt wurde, seit Sommer 2012 zu einem der größten Flüchtlingslager der Welt angewachsen. Der rund fünf Quadratkilometer große Ort, etwa sechs Kilometer südlich der Grenze zu Syrien, gilt bereits als Jordaniens viertgrößte Stadt. Das braucht Energie und führte in der Vergangenheit bereits zu Engpässen im Stromnetz im Norden Jordaniens.

Im November wurde nach sechs Monaten Bauzeit eine 12,9-Megawatt-Photovoltaikanlage in Betrieb genommen. Die größte Solaranlage innerhalb eines Flüchtlingscamps wird die Menschen mit Energie aus 40.000 Solarpaneelen versorgen.

Das Flüchtlingscamp Zaatari im Norden Jordaniens wird seit November mit Solarstrom versorgt. Das spart rund 15.600 Tonnen CO2 pro Jahr ein.
Foto: UNHCR

Für Marwa Hashem, die für das UN-Flüchtlingswerk UNHCR in Zaatari tätig ist, hat das Energieversorgungsmodell Potenzial, um Konflikten in den Aufnehmerländern – im konkreten Fall zwischen den syrischen Flüchtlingen und der jordanischen Bevölkerung – vorzubeugen. Bislang stand den Menschen in Zaatari Strom meist nur von sechs Uhr abends bis drei Uhr früh zur Verfügung – mit regelmäßigen Ausfällen. Nun soll die Stromversorgung 14 Stunden am Tag gewährleistet werden. Das soll Kindern ermöglichen, am Abend länger zu lernen, Lebensmittel können besser aufbewahrt werden, und mehr Kontakt zur Außenwelt ist damit in Zukunft möglich.

Jordanien sei zudem ideal gelegen, um Solarenergie zu gewinnen, sagt Hashem im Gespräch mit dem STANDARD: "Hier scheint fast zehn Stunden täglich die Sonne mit hoher Intensität, und zwar das ganze Jahr über. Das ist fast doppelt so viel wie im Norden Europas."

Die Errichtung und Instandhaltung der Anlage hat zudem einige Jobs für die syrischen Flüchtlinge geschaffen.
Foto: UNHCR

Zudem werden etwa 15.600 Tonnen CO2 jedes Jahr eingespart werden können. Die Produktion grüner Energie sei zwar wichtig, aber nicht der Hauptgrund für solche Projekte. Angesichts der Langwierigkeit vieler Flüchtlingskrisen, einschließlich der Krise in Syrien, und der einsetzenden Müdigkeit von Spendern sei es wichtig, dass nachhaltige Projekte gefunden werden, um die Kosten für humanitäre Organisationen zu reduzieren, betont Hashem: "In diesem Fall, um die Stromrechnungen zu senken."

Diese Einsparungen seien für das UN-Flüchtlingshilfswerk unerlässlich, um weiterhin Flüchtlingen im Zaatari-Lager und auch darüber hinaus Hilfe zu leisten. Die UNHCR rechnet mit einer Kostenreduktion von fünf Millionen Euro pro Jahr.

Die Kosten für den Bau des Zaatari-Solarkraftwerks betrugen 15 Millionen Euro. Das Geld kam von der deutschen Regierung durch die nationale Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), sagt Hashem.

Zudem bietet das Solarkraftwerk Arbeitsplätze: Mehr als 75 syrische Flüchtlinge arbeiteten mit jordanischen Fachkräften an der Errichtung der Solarpaneele mit. Einige Menschen werden auch bei der Instandhaltung der Anlage tätig sein.

Durch die Photovoltaikanlage sollen Engpässe in der Stromversorgung ausgeglichen werden.
Foto: UNHCR

Erste Anlage in Azraq

In einem anderen Flüchtlingslager in Jordanien, in Al-Azraq, das zentral-östlich liegt, wurden bereits im Mai Solarpaneele in Betrieb genommen. Dieser Solarpark war die weltweit erste dieser Anlagen, die in einem Flüchtlingslager errichtet wurde. Die Ikea-Foundation, die vom schwedischen Möbelhaus betrieben wird, hat für die Zwei-Megawatt-Photovoltaikanlage etwa 8,75 Millionen Euro in die Hand genommen. Dadurch werden rund 2.370 Tonnen CO2 und rund 1,3 Millionen Euro pro Jahr eingespart und die aktuell etwa 27.000 dort lebenden Flüchtlinge mit Strom versorgt.

Zudem ergeben sich aus Bau und Instandhaltung der Anlage insgesamt 50 Arbeitsplätze für die Flüchtlinge. In den kommenden Monaten soll die Anlage auf eine Fünf-Megawatt-Leistung erweitert werden.

Solarpaneele gehören zu den wenigen Habseligkeiten, die die Rohingya auf ihrer Flucht mitgenommen haben.
Foto: APA/AFP/DOMINIQUE FAGET

Auch an einem anderen Ort der Welt nutzen Flüchtlinge Solarenergie für ihre Grundbedürfnisse. Hunderttausende Rohingya, eine sunnitische Ethnie im überwiegend buddhistischen Myanmar, sind, seit die Armee Ende August ihre Offensive gegen sie begonnen hat, auf der Flucht. In einem UN-Report vom 22. Oktober dieses Jahres wird geschätzt, dass seit 25. August 603.000 Rohingya die Grenze nach Bangladesch überschritten haben.

Insgesamt befinden sich damit bereits etwa eine Million geflüchtete Rohingya in Bangladesch. Fließendes Wasser und Sanitäranlagen sind rar in den überfüllten Flüchtlingslagern. Mithilfe von Solarpaneelen können die Menschen Licht und Ventilatoren betreiben. Laut Berichten waren die kleinen Solarpaneele unter den wenigen Habseligkeiten, die die Rohingya auf ihrer Flucht mitgenommen haben. Die Paneele sind auf vielen Dächern der provisorisch gezimmerten Hütten zu entdecken.

Eine Aufnahme in einem provisorischen Flüchtlingslager in Cox's Bazar, einer Stadt in Bangladesch.
Foto: APA/AFP/INDRANIL MUKHERJEE

Energie für alle als Ziel

Der Ausbau der Energieversorgung ist auch ein großes Entwicklungsziel der Vereinten Nationen. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat aus diesem Grund Ende 2016 die Initiative Sustainable Energy for All (Nachhaltige Energie für alle) ins Leben gerufen. Es wird geschätzt, dass rund 1,1 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Strom leben. Alleine etwa 600 Millionen davon in ländlichen Gebieten von Subsahara-Afrika. Drei Ziele sollen bis 2030 verfolgt werden: Alle Menschen sollen Zugang zu sauberer Energie bekommen, die Energieeffizienz ist zu verdoppeln, ebenso der Anteil der erneuerbaren Energien am globalen Energiemix, der 2012 bei rund 19 Prozent lag. Zudem sind Solarpaneele oft deutlich günstiger als der Anschluss an ein Stromnetz. (Julia Schilly, 23.11.2017)