DER STANDARD

Sie haben den Holocaust überlebt – doch sie sind keineswegs freie Menschen in einem befreiten Land: Zehntausende osteuropäische Juden sitzen nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich fest, weil ihnen die Briten es nicht erlauben, ins Protektorat Palästina (noch ist Israel nicht gegründet) zu reisen.

Doch im Sommer 1947 geschieht Seltsames im südlichsten Zipfel des Bundeslandes Salzburg: Mit Lkws aus Saalfelden kommend, machen sich in Krimml kleine Personengruppen auf den heimlichen, beschwerlichen und oft gefährlichen Weg über eine 2600 Meter hohe Passhöhe nach Kasern in Südtirol. Innerhalb weniger Wochen werden auf diese Weise tausende Menschen nach Italien gelotst. Die österreichischen Gendarmen schauen demonstrativ weg, während auf italienischer Seite Carabinieri und Bergbauern den Menschen selbstlos ins Tal helfen. Dort, in Kasern, werden sie von den selbst bitterarmen Dorfbewohnern versorgt. Später geht es weiter nach Meran, ans Meer und per Schiff in ihr Gelobtes Land.

Mastermind dieser abenteuerlichen Herbergssuche war der heute 104-jährige Holocaust-Überlebende Marko Feingold. Er hatte schon zehntausende Juden über den Brenner geführt, doch als dieser gesperrt wurde, musste eine neue Route her. Der nur knapp zehn Kilometer lange Grenzabschnitt am Krimmler Tauern auf US-Besatzungsgebiet wird so für tausende Menschen das Tor zur Zukunft.