Wien – Wo die Abenteuer stattfinden, das glaubt man zu wissen. Nämlich irgendwo da draußen, wo das Unbekannte auf einen wartet. Wahrscheinlich an Orten, die man noch nie gesehen hat. Doch das ist natürlich genauso falsch wie die Annahme, dass die wahren Abenteuer im Kopf seien – und führt nur zu falschen Hoffnungen. Vielmehr finden sie dort statt, wo sie nicht erwartet werden. Wenn man hinausstolpert aus dem Alltag ins Ungewisse. Und das wiederum haben Wirklichkeit und Kino gemeinsam.

Auf dem steinigen Weg zurück in eine intakte Vater-Sohn-Beziehung: Tristan Göbel und Georg Friedrich in Thomas Arslans "Helle Nächte".
Foto: Stadtkino Filmverleih

Der deutsche Filmemacher Thomas Arslan versteht es, auf diese Weise seine Arbeiten zu ganz besonderen Abenteuerfilmen zu machen. Es sind Filme, in denen nicht die eine Situation die andere ergibt, wie es sich für eine klassische Erzählung gehört, sondern in denen die Schritte der Figuren einer eigenen Logik gehorchen – einer vom menschlichen Dasein angetriebenen.

Zu Beginn von Helle Nächte, Arslans jüngstem Film, sieht man eine Berliner Baustellenlandschaft voller Kräne und Beton. Hässlich. Und dann einen Mann von hinten an seinem Schreibtisch, wie er langsam seinen Bauarbeiterhelm abnimmt und die Leinwand schwarz wird. "Wir waren uns nicht sehr nahe", wird Michael (Georg Friedrich) später seinem 14-jährigen Sohn Luis (Tristan Göbel) antworten, als dieser wissen will, warum er seinen Großvater vor dessen Tod so lange nicht mehr besucht habe.

"Es war schwierig." Auch Michaels Beziehung zu Luis ist durch seine jahrelange Abwesenheit am Gefrierpunkt angelangt. Der nächste Schritt: zum Begräbnis nach Norwegen reisen. Dinge in Ordnung bringen und auf einem kleinen Friedhof unter Birken abschließen. Und dann mit Luis weiter durchs Land. Einfach so.

Elementare Wucht

Bei der diesjährigen Berlinale, bei der Georg Friedrich für Helle Nächte als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde, ist dieser Film als Roadmovie über eine erstarrte Vater-Sohn-Beziehung gehandelt worden. Dabei ist diese Erzählung so viel mehr als das: Thomas Arslan ist als ein früher Vertreter der Berliner Schule seit Jahren einer der präzisesten Beobachter im deutschsprachigen Kino, der es versteht, die kleinsten Gemütsregungen mit elementarer Wucht zu zeichnen.

Trailer "Helle Nächte".
Piffl Medien

In Helle Nächte könnte man glauben, dass während Michaels und Luis' Fahrt durch die Wälder und Fjorde nichts Besonderes geschehe. Oder eben das Übliche: Zelten am Seeufer. In die nächste Ortschaft marschieren, weil – "auf Risiko!" – das Benzin ausgegangen ist. Einem gelangweilten Mädchen begegnen, das Heavy Metal hört. Doch in Wahrheit passieren ständig Dinge von größter Bedeutung: Regungen und Empfindungen tief im Inneren dieser Figuren, die im Zusammenspiel von Friedrich und Göbel – mit diesem Film endgültig dem Kinderdarsteller (Tschick) entwachsen – mit wenigen Gesten und noch weniger Worten zum Ausdruck kommen.

Helle Nächte ist von einer Elegie bestimmt, die stark an Arslans vorige Arbeit, an den im hohen Norden Amerikas spielenden Western Gold (2013) über die Reise einer kleinen Gruppe deutscher Auswanderer durch die kanadische Wildnis, erinnert. Das liegt nicht nur an der oft nebelverhangenen norwegischen Landschaft, die Kameramann Reinhold Vorschneider wiederholt tableauartig umrahmt. Dazu trägt auch der kriechende Sound des norwegischen Elektromusikers Ola Fløttum bei, der auf der Tonspur leitmotivische Zäsuren setzt.

Reise ohne Ziel

Helle Nächte erzählt von einer Reise ohne Ziel, oder besser: einem unsichtbaren Ziel. Als der Vater gegen Ende des Films seinen Sohn zu einer Wanderung drängt und ihr Weg die beiden immer weiter ins Gebirge hinaufführt, blickt die Kamera minutenlang durch dichten Nebel auf die sich vor ihnen bergauf windende Straße. Dort oben, nach einer der titelgebenden hellen Nächte, kommt es dann doch noch zum emotionalen Showdown.

Die Filme Thomas Arslans stellen die Menschen nicht vor Veränderungen, sondern lassen sie die Dinge verändern. Das dauert manchmal eine ganze Weile, weil eine einzige Berührung oder ein Blick noch nichts ausrichten. Aber der Weg dieser Figuren bleibt bis zum Ende abenteuerlich. (Michael Pekler, 25.11.2017)