Ein Blick in eine Logistikhalle von Amazon. Auch österreichische Unternehmen müssen sich zunehmend mit Onlinehandel beschäftigen.

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Wien – Seit Beginn dieses Jahres können österreichische Unternehmen für Lehrlinge den Zusatzschwerpunkt "Digitaler Verkauf" anbieten. Der Ausbildungsversuch, den Unternehmen freiwillig durchführen können, soll fünf Jahre dauern und danach evaluiert und weiterentwickelt werden, sagt Iris Thalbauer, Geschäftsführerin der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer.

"Wir denken, dass der Schwerpunkt Lehren zukünftig wieder attraktiver machen kann. Eine Lehre im Handel eröffnet einem ohnehin unzählige Möglichkeiten, die Ausweitung in den digitalen Bereich macht aber natürlich einen großen Unterschied."

Das gesamte Lehrberufspaket 2017 des Wirtschaftsministeriums legt einen Schwerpunkt auf Digitales: Neben dem Zusatz "Digitaler Verkauf" bringt es noch sieben weitere neue oder modernisierte Berufsbilder. Dazu zählt auch die dreijährige Lehre zum E-Commerce-Kaufmann, die ab 2018 geplant ist.

Fokus auf "Multi-Channeling"

Rund hundert Unternehmen haben österreichweit der Schwerpunkt "Digitaler Verkauf" eingeführt. Dazu zählt beispielsweise die Möbelhauskette XXX-Lutz: "Die Einführung in den digitalen Verkauf startet für die Lehrlinge mit dem Ende des ersten Lehrjahres", erklärt Unternehmenssprecher Thomas Saliger. "Im zweiten werden stationärer Verkauf und Onlinehandel bereits gleich gewichtet, das dritte Lehrjahr ist 70:30 zugunsten des E-Commerce aufgeteilt." Den Unterricht übernehmen dabei sowohl interne Experten als auch externe Partner, die mit den Lehrlingen Workshops durchführen.

Ein besonderer Fokus liegt auf dem sogenannten Multi-Channeling, der Verzahnung zwischen Online- und Offlinehandel. Diese spielt auch in weiteren Unternehmen, die den neuen Zusatzschwerpunkt eingeführt haben, eine zentrale Rolle: beispielsweise in der Lehre zum Multimediakaufmann beim Unterhaltungselektronikhändler Saturn. Die Lehre wird seit diesem Jahr mit dem Zusatzschwerpunkt angeboten, rund 30 Lehrlinge lassen sich ausbilden.

Folgen von Datenmissbrauch

Der Unterricht umfasst zusätzlich unter anderem das Lernen der Funktionsweisen eines Onlineshops, das Erkennen von Sicherheitsstandards und Sicherheitsrisiken, das Lernen der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Folgen von Datenmissbrauch und die Einschätzung von Trends und Entwicklungen im digitalen Bereich.

Vorreiter in dem Gebiet des Multi-Channeling ist das Sportartikelgeschäft Hervis: Hier gibt es bereits seit drei Jahren eine Zusatzausbildung, in der ähnliche Punkte erarbeitet werden wie im neu eingeführten Schwerpunkt. Die Ausbildung zum "Digitalen Verkäufer" müssen alle der österreichweit aktuell rund 250 Lehrlinge des Unternehmens absolvieren.

Zurückhaltung bei Unternehmen

Der Ausbildungsversuch wird nicht von allen Unternehmen mitgetragen: Einige Großhändler wie Spar, Leiner oder Hofer beobachten den Versuch zwar interessiert, aber noch zurückhaltend. Experten betrachten das kritisch. E-Commerce sei nicht mehr aus dem Arbeitsalltag von Onlinehändlern wegzudenken, sagt Marcel Verhofnik, Leiter des E-Commerce-Lehrgangs der Werbe-Akademie des Wirtschaftsförderungsinstituts Wien (Wifi). Diejenigen, die keinen Unterricht im digitalen Verkauf gehabt hätten, müssten das jetzt nachholen.

Denn um die Digitalisierung des Handels würde keiner mehr herumkommen: "Mehr als die Hälfte der Österreicher informiert sich heutzutage im Internet, bevor etwas gekauft wird. Im Netz präsent zu sein ist so wichtig geworden, dass man eigentlich gezwungen ist, sich zumindest Grundkenntnisse im Bereich des Onlinehandels zuzulegen." Das sei auch dann so, wenn man nicht über einen eigenen Onlineshop verfüge.

Österreich hinkt hinterher

Österreich würde dabei im Vergleich mit vielen anderen Ländern, besonders Deutschland und den USA, nicht so gut abschneiden. "Bis vor kurzem waren wir in unserer Entwicklung sicher ein, zwei Jahre zurückgelegen." Österreich würde zwar aufholen, doch eine Lücke gebe es in vielen Bereichen weiterhin.

Das Wifi Wien will diese Lücke mit dem Diplomlehrgang E-Commerce-Management schließen. Der Lehrgang wird seit 2014 angeboten und findet über zwei Semester hinweg zweimal pro Woche statt. Die Studierenden sind vorrangig Selbstständige oder im Einzelhandel Tätige. Oft haben sie in ihrem Beruf bereits direkt oder indirekt mit E-Commerce zu tun und hoffen darauf, "hier lernen zu können, wie's richtig geht", wie eine der Studierenden erklärt.

Rettung des Einzelhandels

Die steigende Nachfrage nach Erwachsenenbildung im digitalen Handel zeige, wie sehr es einer eigenen Lehre bedarf, sagt Dieter Puganigg, Geschäftsführer der Unternehmensberatungsfirma Digit Econ. Er ist seit diesem Studienjahr als Leiter des Lehrgangs "E-Commerce Expert" des Berufsförderungsinstituts (BFI) tätig und sieht Onlinehandel als die Rettung des österreichischen Einzelhandels. "Die Erwartungen an Unternehmen haben sich geändert", erklärt er. "Alles muss immer sofort verfügbar sein, zu jeder Tageszeit. Der Kundenservice muss schnell und makellos sein. Das sind Erwartungen, die sich durch die großen Onlinekonzerne entwickelt haben."

Besonders Klein- und Mittelbetriebe würden ihm zufolge also davon profitieren, sich eine Onlinepräsenz aufzubauen, "egal ob sie sich jetzt einen eigenen Onlineshop zulegen oder sich an andere Plattformen oder auch an die großen Anbieter wie Amazon hängen". Laut Puganigg würden viele kleinere Unternehmer noch zu wenig über ihre Möglichkeiten im Onlinebereich wissen. "Oder sie wissen es, können es aber mit eigenen Ressourcen nicht entsprechend umsetzen."

Langjährige Forderung

Ein neues Thema ist die Lehre zum digitalen Händler übrigens nicht: Bereits vor Jahren schlug der Handelsverband Österreich vor, die Lehrberufe zu modernisieren und dem digitalen Zeitgeist anzupassen. Im Jänner 2017 gab die Organisation eine Studie beim Forschungsinstitut Mindtake Research in Auftrag. Den Forschungsergebnissen zufolge befürworteten 70 Prozent der 101 befragten Handelsunternehmen die Einführung einer Onlinehandelslehre. 30 Prozent gaben zudem an, bereit zu sein, Mitarbeiter mit einer solchen Ausbildung höher zu entlohnen. (Carla Márquez, 27.11.2017)