Der "Zinnoberrote Merkur" aus dem Jahr 1856 hat bei einer Versteigerung für 31.720 Euro einen neuen Besitzer gefunden.

Foto: Dorotheum

Jahr für Jahr geht das klassische Briefgeschäft wegen des steigenden E-Mail-Verkehrs um etwa fünf Prozent zurück. Das macht sich natürlich auch bei den Briefmarken bemerkbar. Doch ist die Philatelie weiterhin das größte Sammelgebiet der Welt, erläutert Andreas Bazant, Experte für Philatelie beim Auktionshaus Dorotheum. "Man muss sich aber intensiv damit beschäftigen und Wissen zum eigenen Sammelgebiet aufbauen."

Um dieses Wissen rund ums Briefmarkensammeln ist es aber bei den allermeisten Menschen nicht besonders bestellt. Wenn sie beim Zusammenräumen des Dachbodens eine alte Briefmarkensammlung finden oder im Zuge einer Erbschaft einen Stoß Briefmarkenalben erhalten, können sie den Wert schwer abschätzen.

Um sich Rat zu holen, suchen sie Auktionshäuser wie das Dorotheum oder Briefmarkenhändler auf. Beim Dorotheum wird so eine erste Einschätzung unentgeltlich vorgenommen, betont Bazant. Denn natürlich speist sich die Ware für die mehrmals im Jahr stattfindenden Briefmarkenauktionen auch aus solchen Funden.

Und da gibt es doch immer wieder Überraschungen. Eines der höchsten Auktionsergebnisse bei Briefmarken der vergangenen Jahre in Österreich lag bei 31.720 Euro. Das war 2013, als ein Philatelist einen "Zinnoberroten Merkur" ersteigerte. Es ist dies eine österreichische Sechs-Kreuzer-Zeitungsmarke von 1856, die sehr selten ist.

Massenware

Doch natürlich übernehmen die Auktionshäuser nicht alles, ja, eigentlich das meiste nicht. Man sucht sich die Gustostückerln raus, Raritäten in Form von ganzen Sammlungen oder einzelnen Marken. Auch interessante Briefe oder Ansichtskarten werden übernommen. Bei diesen Erstabschätzungen macht es sogar wenig aus, wenn eine Sammlung ungeordnet in einer Schuhschachtel vorgelegt wird.

Denn da wird nicht jedes einzelne Stück unter die Lupe genommen. Die Experten schauen quasi quer drüber; sie haben einen Blick dafür, in welchem Zeitraum oder unter welchen Umständen eine Sammlung zustande gekommen sein dürfte. So können sie philatelistisch Uninteressantes recht schnell ausmachen.

Und Uninteressantes gibt es genug. Ab etwa 1960 wurde sehr viel gedruckt. Die Auflagen in Österreich erreichten drei bis fünf Millionen Stück pro Ausgabe. Solche Massenware überschwemmt nun noch immer den Sammlermarkt. Im Internet, vor allem in Facebook-Foren und auf Onlinemarktplätzen, werden solche Sammlungen massenhaft angeboten und dann oft im Kilopreis verscherbelt. Vom Dorotheum werden solche Schilling-Marken-Sammlungen kaum noch übernommen, "weil es ein Überangebot gibt", wie Bazant sagt.

Ähnlich verhält es sich in Deutschland. Nicht einmal vollständige Sammlungen werden oft hoch bewertet. Besitzt man zum Beispiel einen recht kompletten Satz von Briefmarken aus der DDR – immerhin ein Staat, dessen Anfang und Ende gegeben ist -, findet sich kaum jemand, der viel Geld dafür in die Hand nehmen will. Um zu Devisen zu kommen, wurden in der DDR immer viele Marken gedruckt, und das drückt den Preis bis heute.

Fazit: Dass bei Ware ab dem Jahr 1960 das Sammlerherz höher schlägt, muss es eine besonders tolle, interessante Sammlung sein.

Dokumente der Zeit

Anders sieht die Lage aus, wenn es um Markensammlungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts geht. Die erste Briefmarke wurde 1840 an einem britischen Postschalter verkauft, andere Länder folgten prompt. Die Schweiz 1843, Österreich 1850. Sehr schnell gab es reiche, passionierte Sammler, die herumreisten und ganze Sammlungen aufkauften.

Ein solches ausgeprägtes Interesse wird laut Meinung der Experten nicht versiegen. Schließlich handelt es sich bei Marken um Dokumente der jeweiligen Zeit, die sehr oft ausgesprochen ansprechend gestaltet sind. Auch sind die Sammelmöglichkeiten riesig. Neben Marken, gestempelt oder ungestempelt, können Briefe, Ansichtskarten, Rohrpost, Schiffspost, Kriegskorrespondenzen und vieles mehr gesammelt werden. Philatelistisch interessant sind auch immer Zeiten politischer Umbrüche.

Wenn also die Großeltern, noch besser die Urgroßeltern, eine Sammlung anlegten, kann man ihnen noch nachträglich danken. Denn diese Marken können den Erben, auch wenn sie mit Philatelie nichts am Hut haben, ganz schön etwas einbringen. Bei Marken ab Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es zu wenig Material, um den Hunger der Sammler zu stillen.

So fand 2011 bei einer Dorotheum-Auktion eine Eilmarke von 1933, die den italienisch-libyschen Kolonialismus als Motiv hatte, um mehr als 31.000 Euro einen neuen Besitzer. Ein Viertelbogen mit 45 Marken aus Bayern (1 Kreuzer schwarz), der vom deutschen Briefmarkenprüfer August Wilhelm Drahn signiert ist, erzielte 2010 den stattlichen Preis von 65.318 Euro.

Interesse wachhalten

Anders verhält sich die Sache, wenn man neu zu sammeln beginnt. Ob es da zu Lebzeiten noch zu extremen Wertsteigerungen kommen wird, ist doch fraglich. Es gehe dabei auch eher darum, das Interesse an einem Hobby wachzuhalten und junge Menschen ins Boot zu holen, erläutert Gerlinde Scholler, Leitung Produktmanagement Philatelie der Österreichischen Post. Dementsprechend gibt es Spezial-Abos, etwa für Kinder. Oder Sammelangebote mit den verschiedensten Themen. Immer wieder versucht man, mit Innovationen Interesse zu wecken.

Derzeit gibt es 30.000 Sondermarken-Abos bei der Post – Tendenz fallend. Abgelöst wird das Briefmarken-Abo durch steigende Nachfrage via Onlineshop. Da kauft man sich dann besondere Ausgaben wie etwa eine bestickte Marke oder eine, die mit Swarovski-Kristallen beklebt ist. Bei Sammlern legendär ist die Marke von 2006 mit Mondstaub.

Alle Postgesellschaften versuchen das Interesse mit oft kuriosen Markenideen am Leben zu halten oder zu wecken: Die Deutsche Post kam 2010 mit einer Serie von Duftmarken heraus, die nach der abgebildeten Frucht rochen, wenn man daran rubbelte.

Jährlich gibt es in Österreich 45 bis 50 neuer Sondermarken, und da kann es schon vorkommen, dass originelle Stücke schnell ausverkauft sind. Dies ist immer ein Glücksfall für die österreichische Philatelie und bedeutet, dass das Expertengremium, das Motive und Auflage der Sondermarken im Jahr davor festlegte, den Markt im Jahr drauf richtig eingeschätzt hat. Sondermarken werden nicht nachgedruckt – im Gegensatz zu Dauermarken. "Die richtige Auflage ist eine Wissenschaft für sich", sagt Ulrike Radl, Briefmarkenexpertin bei der Post.

"Es kann nichts Besseres passieren, als dass eine Marke ausverkauft ist." So etwas kommt dann gar nicht so selten vor. Laut Radl ist die heuer im April mit 175.000 Stück herausgebrachte Sondermarke "Schlierbacher Käse" zu 68 Cent praktisch ausverkauft, wie überhaupt die Serie mit klassischen österreichischen Produktmarkennamen – Schartner Bombe, Palmers – gut angenommen wurde. Auch mit einer Briefmarkenserie über Österreicher in Hollywood, mit Konterfeis von Stars wie Maximilian Schell oder Hedy Lamarr, traf man den Geschmack der Sammler. (Johanna Ruzicka, Portfolio, 2017)