Mit den Philharmonikern auf Augenhöhe: Martha Argerich.

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Wien – Viel zu oft besteht ein Klassikkonzert aus Bravheit und Routine, liefern Interpreten kühle und inspirationsgedämpfte Perfektion. Martha Argerich wirkt hingegen noch immer wie eine Naturgewalt voller Kraft und Präsenz.

Es ist unbeschreiblich, wie die Pianistin am Samstag beim Philharmonischen Abokonzert im Musikverein die Konturen des 1. Klavierkonzerts von Franz Liszt herausmeißelte, rhythmisch scharf, klanglich gerundet und mit einer Durchdringung des Stücks auf allen Ebenen. Praktisch jeder Akkord wurde von ihr durchleuchtet und je nach Struktur in sich gewichtet, was sie aber nicht hinderte, mit immenser Wuchtigkeit zu agieren. Innige Gesanglichkeit bettete sie in eine sanfte Pedallandschaft. Argerich hatte das ganze Stück – einschließlich Orchesterpart – in Händen.

Die Wiener Philharmoniker waren an dieser ungewöhnlichen Intensität mit phänomenaler Angleichung an die musikalische Gestik und Klanglichkeit der Pianistin beteiligt – wenn auch nicht ganz und nicht von Anfang an. Denn Daniel Barenboim dirigierte – zumindest in den ersten Minuten – noch nicht ganz so straff und klar, dass die motivische Verzahnung von Solo und Orchester vollkommen greifen konnte. Erst nach und nach kam man, auch dank wunderbar intuitiver Reaktionen aus dem Orchester einschließlich ätherisch schwebender Bläserstellen, auf partnerschaftliche Augenhöhe.

Eine kostbare Miniatur bildete die Zugabe, als Argerich (Jahrgang 1941) und Barenboim (Jahrgang 1942) sich mit Freude und Eleganz der Seifenblasen aus Georges Bizets Kinderspiele annahmen. Nach der Pause war dann der Dirigent vollkommen präsent: Gustav Mahlers 7. Symphonie wirkte wie ein Kraftakt, der sie auch zweifellos ist: Düster und schwermütig war der Marsch des ersten Satzes, farbig schimmerten die beiden Nachtmusiken, leichtfüßig und dennoch mit Tiefgang huschte das schattenhafte Scherzo vorbei, furios und wild war das Finale – jedenfalls alles andere als Bravheit und bloße Routine.

Beim nächsten Philharmonischen Abokonzert dirigiert Riccardo Muti am 9. und 10. Dezember Werke von Haydn und Bruckner. (Daniel Ender, 26.11.2017)