Die glockenförmigen Gebilde in einer mexikanischen Unterwasserhöhle werden bis zu zwei Meter groß und sind weltweit einmalig.
Foto: Eugenio Acévez und Jerónimo Avilés

Heidelberg/Wien – Bei Tropfsteinen zeigt sich die Natur von ihrer künstlerischen Seite. Im Normalfall wachsen sie Tausende von Jahren in Höhlen, die sich in kalkhaltigem Gestein gebildet haben: Wasser sickert durch das Gestein und reichert sich dabei mit Kalziumkarbonat an. Erreicht es die Höhlendecke, fällt beim Heruntertropfen ein kleiner Teil des Kalziumkarbonats aus, bleibt hängen und trägt ein wenig zur Bildung eines Tropfsteins bei.

Während hängende Kalkzapfen Stalaktiten genannt werden, heißen die sich von unten bildenden Tropfsteine Stalagmiten. Eine spektakuläre "Tropfsteinformation" in der El-Zapote-Höhle auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán zeigt nun aber, dass es auch anders geht – zumindest bei Stalaktiten.

Blick nach oben zum Ausgang des Kalksteinlochs.
Foto: Eugenio Acévez und Jerónimo Avilés

Zwei Meter lange Gebilde

In diesem sogenannten Cenote (die Maya-Bezeichnung für ein solches Kalksteinloch), der unweit der Touristenmetropole Cancún liegt, gibt es in gut 30 Meter Tiefe nämlich einzigartige, bis zu zwei Meter lange Unterwasserformationen, die sich gleich mehrfach von gewöhnlichen Tropfsteinen unterscheiden.

Erstens sind die Gebilde innen hohl, und zweitens werden sie anders als gewöhnliche Stalaktiten nach unten hin nicht schmäler, sondern weiten sich zu ihrem Ende trompetenförmig, was ihnen die Form von Lampenschirmen, Rüsseln oder Glocken verleiht. Das ist auch der Grund, warum die faszinierenden Formationen von Tauchern "Hells Bells" getauft wurden, also Höllenglocken.

Ein Tauchgang durch die "Hells Bells".
Steve Bogaerts

Erste wissenschaftliche Untersuchung

Diesen Namen hält auch Geowissenschafter Wolfgang Stinnesbeck (Uni Heidelberg) für sehr passend, der mit Kollegen nun die erste eingehende wissenschaftliche Untersuchung der rätselhaften Gebilde vorgelegt hat.

In einem ersten Schritt konnten die Forscher bestätigen, dass die Höllenglocken tatsächlich unter Wasser entstanden sind. Das belegen Altersdatierungen der Kalkstrukturen, die über das Verhältnis von Uranium-Thorium-Isotopen vorgenommen wurden und auf ein Alter von rund 4500 Jahren schließen lassen.

Sehr spezielle Bedingungen

Doch welche Bedingungen waren dafür verantwortlich, dass sich die rätselhaften Tropfsteine ohne Tropfen bilden konnten? Wie Stinnesbeck und sein Team im Fachblatt "Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology" berichten, brauchte es dafür ganz spezielle chemische Voraussetzungen im Wasser der Höhle.

Die Forscher gehen davon aus, dass die Höllenglocken nur aufgrund spezieller physikalischer und biochemischer Bedingungen nahe der sogenannten Halokline – jener Schicht, die das Süßwasser von dem darunterliegenden schwereren Salzwasser trennt – wachsen konnten. Nur in dieser Schicht war es möglich, das jenes aus der Salzwasserzone gelöste Kalzium aufstieg und zu einer Übersättigung des Süßwassers darüber führte. Dazu kamen die abwechselnden sauerstoffarmen und sauerstoffreichen Schichten, die ebenfalls zum Wachstum der Gebilde beitrugen.

Schematische Darstellung der Lage der "Hells Bells" in der Höhle nahe der Grenzschicht zwischen Süß- und Salzwasser.
Illustration: Stinnesbeck at al.

Stickstoff verarbeitende Bakterien

Zusätzlich dürften noch andere, lebende Akteure am Entstehen der Höllenglocken beteiligt gewesen sein, wie Untersuchungsleiter Wolfgang Stinnesbeck erläutert: "Es dürften Stickstoff verarbeitende Bakterien, die bis heute aktiv sind, durch ihre Fähigkeit zur Erhöhung des pH-Wertes eine entscheidende Rolle für die Kalkabscheidung gehabt haben." Die mikrobiologischen Analysen ergaben jedenfalls, dass die Tropfsteine von einer ganz speziellen Gemeinschaft von Bakterien besiedelt sind, die vermutlich das Ausfällen des gelösten Kalzits begünstigt haben.

Doch wie die deutschen Wissenschafter einräumen, sind damit noch nicht alle Rätsel um die Entstehung der Höllenglocken erklärt. Klar scheint vorläufig nur, dass die Hells Bells von Yucatán weltweit einzigartig sind. (Klaus Taschwer, 27.11.2017)