Bei den Koalitionsverhandlungen steht das Gesundheitssystem gerade auf dem Prüfstand.

apa

ÖGB-Präsident Erich Foglar warnt vor einer Zerschlagung der Selbstverwaltung.

apa

Für Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres ist klar: Es braucht regionale Kassenstrukturen.

apa

Wien – Folgen die Parteichefs den Ideen der türkis-blauen Gesundheitsverhandler, steht ein umfassender Umbau des heimischen Gesundheitswesens bevor. Die neun Gebietskrankenkassen sollen fusioniert werden, ebenso die Sozialversicherungsanstalten der Gewerbetreibenden und der Bauern. Diese Unselbstständigen- respektive Selbstständigenkassen würden dann auch gleich die Unfallversicherung übernehmen – die AUVA in ihrer bisherigen Form gäbe es also nicht mehr.

Zudem steht wie berichtet zur Diskussion, die Selbstverwaltung zu beschneiden und der Politik die Möglichkeit zu geben, einen Teil der Posten in den Sozialversicherungsgremien zu besetzen, wobei es hier aber noch keinen akkordierten Vorschlag gibt.

Welche Mehrheiten nötig sind

Stellt sich die Frage: Können ÖVP und FPÖ diese Ideen so einfach umsetzen, oder braucht es dafür eine Verfassungsmehrheit, also die Zustimmung von SPÖ oder Neos?

Zunächst: Bei der Reduktion der Versicherungsträger hat die künftige Regierung durchaus Möglichkeiten. Darauf macht der Salzburger Sozialrechtsexperte Walter Pfeil in einem aktuellen Fachartikel aufmerksam. Es gebe "keine verfassungsgesetzlich verankerte Bestandsgarantie" für Krankenversicherungsträger, die nach Berufsgruppen oder regional oder bundesweit organisiert sind. Entscheidend sei das "Sachlichkeitsgebot", wobei dem Gesetzgeber aber ein "weiter Gestaltungsspielraum" zukomme.

Der Plan, die Krankenfürsorgeanstalten der Länder und Gemeinden an die Beamtenversicherungsanstalt anzudocken, ist rechtlich schwieriger umzusetzen. Da es sich hier um eine Landeskompetenz handle, wäre eine Eingliederung dieser Personen in das Sozialversicherungssystem "mit hoher Wahrscheinlichkeit unsachlich und damit verfassungswidrig".

Geänderte Arbeitswelt

Vor dem Hintergrund der Änderungen in der Arbeitswelt sowie aus ökonomischer Sicht spricht für den Experten Pfeil aber "wohl mehr für eine stärkere Konzentration von Versichertengemeinschaften als für eine Beibehaltung der derzeitigen Vielfalt". Pfeil hält daher je einen Träger für Unselbstständige und Selbstständige und ein Sondersystem für öffentlich Bedienstete für verfassungsrechtlich denkbar.

Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer sieht vor allem jene Pläne kritisch, wonach die Regierung einen Teil der Posten besetzen könnte. Das würde nur unter Aufgabe der in der Verfassung verankerten Selbstverwaltung gehen. Denn unter diese würde das Recht der Versicherungsgemeinschaft fallen, ihre Gremien selbst zu besetzen. Der staatliche Einfluss werde damit zurückgedrängt. "Eine Selbstverwaltung ohne Autonomie geht rechtlich nicht", sagt Mayer zum STANDARD. Die Reform sei eine richtungsweisende Entscheidung zwischen Selbstverwaltung und staatlichem Gesundheitssystem, bei Letzterem entscheide eine zentrale Behörde, die politisch besetzt sein kann, über Beiträge und Leistungen der Versicherungsnehmer.

"Verfassungsrechtliche Grenzen"

Auch Pfeil argumentiert, dass mit der Vergrößerung von Kassen die Selbstverwaltung "an verfassungsrechtliche Grenzen stößt", weshalb die Schaffung einer eigenen SV-Behörde erforderlich sein könnte.

Politisch sind die Fusionspläne wie berichtet äußerst umstritten. Die Landesgesundheitsreferenten sowie die Vorarlberger Gebietskrankenkasse haben schon Widerstand angekündigt. Dem Vernehmen nach wird auch bereits an akkordierten Maßnahmen von Arbeiterkammer, Sozialversicherung und Ärztekammer gearbeitet. Der Präsident der Ärztekammer deponierte am Dienstag bereits, Zusammenlegungen abzulehnen.

AUVA-Obmann Ofner: "Verlängerter Wahlkampf"

Irritiert ist man auch in der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA). Obmann Anton Ofner hält eine eigene Unfallversicherung für unverzichtbar. Im STANDARD-Gespräch erklärt er, dass eine "Zusammenlegung über Systemgrenzen auch wirtschaftlich nicht sinnvoll" sei. Man könne dabei "nichts einsparen". Den kolportierten Vorhaben kann er wenig abgewinnen, sie seien "im Bereich der Überschriften". Es bestehe die Gefahr, dass bewährte Dinge über Bord geworfen und mit Beliebigkeit behandelt werden. "Anscheinend befinden wir uns im verlängerten Wahlkampf", ergänzt er.

Zurückhaltend gibt man sich vorerst bei anderen Kassen. Sowohl die SVA als auch die Bauernkasse erklären auf Anfrage, man stehe den Überlegungen offen gegenüber.

Der Gewerkschaftsbund warnt hingegen vor einer "Zerschlagung der Sozialversicherung". Das Aushebeln der Selbstverwaltung laufe auf eine stärker parteipolitische Einflussnahme hinaus, heißt es vom ÖGB. Der bisherige Vorschlag sei "unausgegoren". (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 28.11.2017)