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Unser Verhalten in der virtuellen Welt kann beträchtlich von dem in der realen abweichen.

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Wer auf sozialen Plattformen wie Facebook Emojis verwendet, gilt generell als aufgeschlossen.

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Die Cyberpsychologin Linda Kaye aus Großbritannien.

Foto: TEDxVienna/ Gavin Gough

Wien – "Wir leben in einer Gesellschaft, die hochgradig von Wissenschaft und Technologie abhängig ist, in der aber kaum jemand etwas von Wissenschaft und Technologie versteht", wusste der Astrophysiker Carl Sagan. In der Cyberpsychologie geht man noch einen Schritt weiter: Es ist bisher schließlich kaum erforscht worden, welche Konsequenzen die Kommunikation über Technologien für das menschliche Miteinander hat. Linda Kaye von der englischen Edge Hill University stellt sich der Herausforderung einer Disziplin, die mit permanent neuen Entwicklungen kaum Schritt halten kann: Sie analysiert virtuelle Aspekte von Identität und Persönlichkeitsmerkmalen, besonders im Kontext von Onlinespielen, und referierte zuletzt bei der Veranstaltung TEDx Vienna über den Gebrauch von Emojis.

STANDARD: Was sagen die Emojis, die wir nutzen, über unsere Persönlichkeit aus?

Kaye: Unsere Forschung hat ergeben, dass das Persönlichkeitsmerkmal Aufgeschlossenheit vor allem bei Personen ausgeprägt war, die auf Facebook eher ein breites Spektrum an Emojis verwenden, also mehr als nur fröhliche oder traurige Gesichter – auch solche, die etwa für Sarkasmus stehen können.

STANDARD: Sie haben Eigenschaften der Probanden auch von einer zweiten Gruppe einschätzen lassen. Gab es einen Unterschied bei der Fremdwahrnehmung?

Kaye: Generell wurde die Verwendung von lächelnden Emojis mit einem hohen Grad an Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Aufgeschlossenheit in Verbindung gebracht. Allerdings war die Einschätzung der zweiten Gruppe nur in Bezug auf die Aufgeschlossenheit richtig beziehungsweise deckungsgleich mit den Selbsteinschätzungen der ersten Probanden.

STANDARD: Warum ist dieses Ergebnis überraschend?

Kaye: Wir denken, dass Kommunikation in der sogenannten realen Welt der virtuellen überlegen ist, weil man einen besseren Eindruck von Menschen bekommen kann. Das stimmt in vielen Fällen, hier war das aber nicht so: Normalerweise ist die Offenheit für neue Erfahrungen kein Charakterzug, den wir bei unserem Gegenüber sonderlich gut einschätzen können, wenn wir ihm erstmals begegnen. Online hat das hingegen funktioniert. In dieser Frage sind also virtuelle und physische Welt beziehungsweise Emojis und reale Mimik nicht so äquivalent, wie man meinen könnte. Das zeigt uns, inwiefern wir von der Onlinekommunikation profitieren können. Wir müssen natürlich den Kontext berücksichtigen, in sozialen Netzwerken kommunizieren wir gerade mit Emojis anders als über professionelle E-Mails.

STANDARD: In einem kürzlich erschienenen Artikel kritisieren Sie die Anwendung von Fragebogenstudien in der Psychologie. Mit welcher Begründung?

Kaye: In Studien bitten wir die Teilnehmenden ja oft nur, ihr Verhalten selbst abzuschätzen. Nach unserem Wissensstand sind wir aber nicht sehr präzise, was das Wiedergeben unserer Verhaltensweisen angeht, zum Beispiel bei der Frage, wie oft wir am Tag unser Smartphone nutzen. Gerade wenn es um Onlineverhalten geht, könnte man psychologische Forschung anders angehen und Daten einbeziehen, die über Selbsteinschätzung hinausgehen – die Anzahl an Interaktionen mit Freunden über Facebook etwa.

STANDARD: Hat Ihre Forschung die Art verändert, wie Sie selbst Onlinenetzwerke nutzen?

Kaye: Sie hat mich eher sensibler dafür gemacht, wie andere Menschen soziale Medien nutzen. Interessant ist etwa auch die Frage, wie Likes wahrgenommen werden – ob uns Beiträge besser gefallen, wenn sie viele Likes haben oder wenn Freunde sie mögen. Dieser Einfluss, der uns überzeugt, ebenfalls auf "Gefällt mir" zu klicken, ist mir nun definitiv bewusster.

STANDARD: Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich auseinandersetzen, ist Identität im Gaming-Bereich. Welche Aspekte gibt es dabei zu beachten?

Kaye: Die Identifikation als Gamer ist meist verbunden mit einem Gemeinschaftsgefühl und Wohlbefinden. Schwierig wird es, wenn diese Identität bedroht werden und das Konsequenzen für Selbstbild und Verhalten haben kann. Wir sprechen von Stereotype-Threat. Das besagt unter anderem, dass Mädchen in naturwissenschaftlichen Schulfächern teils schlechter abschneiden, weil sie als weniger kompetent eingeschätzt werden. Das haben wir auf weibliche Gamer angewandt und uns gefragt, ob ein Geschlechterstigma einen Einfluss auf ihre Leistung im Spiel oder ihr Selbstwertgefühl hat. In unseren Experimenten zu "casual gaming", also Gelegenheitsspielen, war das nicht der Fall. Jetzt wollen wir untersuchen, was sich in verschiedenen Kontexten und Spielumgebungen abspielt.

STANDARD: Das heißt, welche Unterschiede in verschiedenen Genres wie Shootern und Rollenspielen relevant sind?

Kaye: Genau. Auch etwa in unterschiedlichen Rollenspielen wird es wahrscheinlich Differenzen geben, und das wurde bisher noch wenig untersucht. Wir wissen, dass manche Umfelder feindseliger sind als andere. Unklar ist, wie Identität in diesen Bereichen funktioniert und wie wir die identitätsbedrohenden Auswirkungen vielleicht mildern könnten.

STANDARD: Es gibt aber auch Spielerinnen, die sich als Männer ausgeben.

Kaye: Ja, wobei das in beide Richtungen funktioniert. Frauen berichten oft, dass sie sich nicht als Frauen zu erkennen geben, weil es so unkomplizierter ist und man weniger Aufmerksamkeit bekommt. Auf der anderen Seite spielen manche Frauen, aber auch Männer lieber eine weibliche Rolle und mögen die zusätzliche Aufmerksamkeit, wenn andere sie so wahrnehmen. Es kann passieren, dass man zusätzliche Belohnungen bekommt und andere Spieler einem öfter helfen.

STANDARD: Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie?

Kaye: Meine Kollegen und ich untersuchen, wie wir auf diesem Gebiet unsere Identitätsperspektive benutzen. Jede Person besitzt unterschiedliche Arten von Identitäten, zum Beispiel eine akademische Identität, die am Arbeitsplatz oder auf Konferenzen bedeutend ist, und eine als Star-Trek-Fan, die auf einer Star-Trek-Convention hervorsticht. Wir fragen uns nun, wie wir sicherstellen, dass in einem Gamingumfeld nicht zwischen weiblichen und männlichen Spielern diskriminiert wird, sondern die übergreifende Identität der Gamer und damit der Gemeinsamkeiten wichtiger ist. Wie erweitern wir unsere Identität, sodass wir weniger Spannungen zwischen geschlechtsbasierten Untergruppen haben? In der Theorie würde das zu weniger Feindseligkeit führen.

STANDARD: Besteht dabei auch ein sprachliches Problem in der Differenzierung?

Kaye: Definitiv. Männliche Spieler sind einfach Gamer, während man Spielerinnen im Englischen als "female gamers" oder "gamer girls" bezeichnet. Das gleiche Problem gibt es etwa auch bei Sportarten, siehe "Fußball" und "Frauenfußball". Das ist nicht ausschließlich ein Problem von Frauen, sondern auch von Männern: Beim englischen Begriff "nurse" wird man als Krankenschwester aufgefasst, Krankenpfleger nennt man "male nurses". Wie können wir das Geschlechterlabel ein Stück weit zurücknehmen? Natürlich ist das ein gesellschaftlicher Aspekt und nichts, was sich schnell ändern kann – in der Zwischenzeit spielt es aber für die Identitätsforschung eine Rolle. (Julia Sica, 2.12.2017)