Saria Amillen Anderson in einer Schule im Bezirk Butiama.

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Ihr mittlerweile an Aids verstorbener Ehemann hat sie mit HIV infiziert, die Tochter der 49-Jährigen wurde bei der Geburt mit dem Virus angesteckt. Als bereits junge Frau beging die Tochter Suizid. Saria Amillen Anderson lässt sich dennoch nicht unterkriegen. Sie leitet in Tansania die Hilfsorganisation Grain to Grow Foundation (GGF).

In der männerdominierten Gesellschaft rund um den Victoriasee engagiert sich Anderson gegen weibliche Genitalverstümmelung, klärt über die Ansteckungsgefahr von HIV auf und setzt sich für bessere Lebensbedingungen ein. GGF ist die Partnerorganisation von "Sei so frei", einer NGO der katholischen Männerbewegung.

Am 13. August 2001 wurde Andersons Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ihre sechsjährige Tochter Glory war ständig krank und wurde in einem Krankenhaus in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, behandelt. Eine Blutuntersuchung brachte schließlich Klarheit: Glory, Saria und ihr Mann sind HIV-positiv. "Ich war so traurig. Aber ich musste es akzeptieren", erinnert sich Anderson im Gespräch mit der APA.

Nicht ewig leben

Infiziert wurde sie von dem Menschen, den sie liebte. "Mein Ehemann hat mir vor der Heirat ein ärztliches Zertifikat, indem bestätigt wurde, dass er gesund ist, vorgelegt. Das war gefälscht", schildert sie. Als sie ihren Mann mit der Diagnose konfrontierte, schrie er sie an: "Du wurdest nicht geboren, um ewig zu leben", erinnert sich Anderson.

Entgegen den Traditionen in Tansania warf sie ihren Mann aus dem Haus. Es war eine schwierige Zeit für Anderson, Wut und Zorn seiner Verwandtschaft entluden sich über sie und ihr Elternhaus. "Ich habe Gewicht verloren, fühlte mich schwach und war ständig müde wegen nichts." Dass Männer ihre Frauen verlassen, ist in dem afrikanischen Land möglich, umgekehrt eine völlige Ausnahme. Aber Anderson bleibt hart, nimmt ihren Ehemann nicht zurück. Doch als bei ihm Aids ausbricht, ist sie es, die ihn pflegt – bis zu seinem Tod im August 2003.

Rund 4,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Tansania ist HIV-positiv. Anderson lebt in Musoma, der Hauptstadt der Mara-Region, direkt am Victoriasee gelegen. In dieser Region sind zehn bis zwölf Prozent der Einwohner HIV-positiv, Schätzungen der Dunkelziffer gehen bis zu 50 Prozent. Die 49-Jährige arbeitet viel mit HIV-positiven Menschen, organisiert Aufklärungsaktionen in Schulen. Doch niemand der Betroffenen weiß, dass die tatkräftige NGO-Chefin selbst HIV-positiv ist. "Sie würden es mir vielleicht nicht glauben", sagt Anderson. Nur ausgewählte Personen in ihrem Umfeld wissen von ihrer Infektion. "Meine Schwester hat mir sehr geholfen. Und mein Glaube an Gott", erinnert sich die 49-Jährige.

Nicht mehr nachweisbar

Seit dem Jahr 2000 arbeitet Saria für "Sei so Frei". "Ich habe selten eine Person mit einer derartigen Leidenschaft und Empathie kennengelernt", sagt Franz Hehenberger, Geschäftsführer der österreichischen NGO. "Ich habe sehr viel von ihr gelernt." Seit 2002 kommt Anderson jedes Jahr zur medizinischen Behandlung nach Österreich. Im Klinikum Wels wird sie untersucht, die Medikamente neu eingestellt. Stand sie bereits einmal an der Kippe zu einem Ausbruch der Krankheit, ist das Virus mittlerweile "faktisch nicht mehr nachweisbar", sagt Hehenberger.

Den Tag, als sie von der Infektion erfuhr, bezeichnet Anderson als den schlimmsten ihres Lebens. Ebenso jenen, als ihre Tochter Glory Suizid beging. Als diese 14 Jahre alt war, erfuhr sie die Wahrheit darüber, warum sie ständig krank war. Das war eine große Bürde. "Sie starb am 7. September 2012, mit 17 Jahren", erinnert sich Anderson. Ihre zweite Tochter Neema ist gesund. "Gott hat auf sie aufgepasst und sie vor einer Infektion beschützt", sagt die Tansanierin. Neema ist mittlerweile 18 Jahre und hat im November ihren Mitteschulabschluss absolviert.

"Wir müssen weiterhin und mehr Bewusstsein für HIV und AIDS schaffen", sagt Anderson. Darüber sprechen sei der Anfang. "Junge Menschen fürchten sich nicht vor HIV-Medikamenten, manche glauben, es ist okay, jeden Tag Tabletten zu nehmen", warnt sie. Anderson wünscht sich für die Zukunft, dass mehr Familien in Tansania ihren Mädchen gute Bildung ermöglichen können, um sie auf unterschiedliche Lebensumstände vorzubereiten. (APA, 29.11.2017)