Seit Sommer 2015 gibt es wieder Grenzkontrollen.

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Wenn Zsolt Gergácz erklären will, dass man sich nicht vorschnell ein Urteil bilden solle, dann sagt er: "Das musst du z'sammgleichen." Und weil dieser Zsolt Gergácz – ein gelernter Koch-Kellner ist er – seit gut 25 Jahren in Österreich arbeitet, hat er ganz schön was zum Z'sammgleichen; zwischen einst und jetzt, da und dort, Wunsch und Wirklichkeit. In Grenzangelegenheiten und -fisimatenten besonders. Da kommt er beinahe ins Erzählen und aus dem dann nicht mehr so leicht wieder heraus.

Tag für Tag fährt er ja von Sopronkohida/Steinambrückl vor zur Soproner Wiener Straße, die Bécsi út, und auf der über die Grenze bei Klingenbach. Seit längerem will ihm scheinen, dass die Österreicher die europäische Ermächtigung zur Grenzkontrolle weidlich nutzen, auch zum Schikanieren. Mag sein, er übertreibt; aber sehr nicht. Denn tatsächlich wird hier der Grenzverkehr in eine Art Schikane gelenkt, vorbei an einem Polizeicontainer. Einspurig. "Oft steht dort gar niemand. Aber du musst Schritttempo fahren."

Verkehrsinfo über Facebook

In der Früh staut es sich deshalb nicht selten kilometerlang zurück bis nach Sopron. Wer immer also im Frühverkehr über Klingenbach zur Arbeit fährt, wirft vorher einen Blick auf die aktuelle Grenzübergangsinformation auf Facebook. Unter "soproni határátkelo információ" halten 12.500 Gruppenmitglieder sich und einander auf dem Laufenden darüber, ob es läuft oder eben nicht.

Nicht ganz 30.000 Fahrzeuge passieren hier täglich die Grenze, die seit 2007 eigentlich keine mehr sein will. Seit dem Sommer 2015 ist das allerdings anders. Nicht nur die Flucht- und Migrationsverwerfungen haben die Grenze reaktiviert. Auch die Turbulenzen auf dem seit 2011 ganz offenen Arbeitsmarkt. Man sucht bei der Klingenbacher Schikane nicht nur Illegale und Schlepper, sondern auch jene, die ohne offizielle Entsendebescheinigungen "hereinarbeiten", wie man das bei Arbeiter- und Wirtschaftskammer nennt.

"Soldaten, nicht schießen!"

Deshalb kontrolliert die Grenzpolizei schleppverdächtige Fahrzeuge, die Finanzpolizei schwarzarbeitsverdächtige Kastenwägen, und zwischen den Grenzübergängen patrouilliert wieder das assistierende Bundesheer. Alles scheint wie einst, als noch der alte Böhm András, der Chef der ungarndeutschen Selbstverwaltung, häufig über die Brücke bei Loipersbach illegalisierte. Nicht aber, ohne zuvor mehrmals laut gerufen zu haben: "Soldaten, nicht schießen!" Wenn darauf nicht geantwortet wurde – weil gerade niemand da war -, ging er weiter. Freunde besuchen. Oder zum Wirten.

Aber das scheint nur so. Sagt auch Zsolt Gergácz, wenn er so z'sammgleicht die vielen Jahre, in denen er schon ein Grenzgänger gewesen ist. Beschwerlicher geworden sei es seit 2015, ja. Rückgängig machen, sagt er, könne man diesen kleinen, lebhaften täglichen Grenzverkehr nicht mehr. Zu sehr ist die Rissquetschwunde des 20. Jahrhunderts, die gerade hier die Region besonders verunstaltet hat, ins Abheilen gekommen. Sopron ist, wieder und unwidersprochen, zur Metropole seines Hinterlandes, des Burgenlandes, geworden.

Pendeln in die andere Richtung

Nur ist – dank dieses 20. Jahrhunderts und seines allgemeinen Irreseins – die Region noch verkehrt gepolt. Nicht die Gegend pendelt in die Stadt. Es pendelt die Stadt in die Gegend. Seit 2007 erst recht und so sehr, dass Sopron zunehmend unter Wachstumsdruck steht. Offiziell leben 62.000 Menschen in der Stadt. Im Weichbild Ödenburgs sollen es aber runde 100.000 sein. Auch die von der sie beinahe gänzlich umschließende Grenze erlöste Stadt boomt ja. Wenn man z'sammgleicht mit dem Osten Ungarns.

Vier autotaugliche Grenzübergänge führen aus dieser Stadt hinüber in ihr einstiges Komitatsgebiet. Neben der Hauptverbindung über Klingenbach gelangt man über das ungarnkroatische Koljnof (Kópháza, Kohlnhof) ins Mittelburgenland. Die alte Pozsonyi út, die Preßburger Straße, führt nordwärts über den Platz, an dem 1989 das Paneuropäische Picknick dem Eisernen Vorhang den Garaus gemacht hat, nach St. Margarethen.

Fahrverbote

Im Westen geht es von Ágfalva/Agendorf über einen schmalen Feldweg auf einer noch schmaleren Asphaltdecke nach Schattendorf. Zu den Verkehrsspitzen in der Früh und am Abend gibt es ein Fahrverbot. Ansonsten wachen Polizisten in ihrem Container darüber, dass alles seine grenzüberschreitende Ordnung hat. Die Annamaria Kasparek winken sie durch. Man kennt einander ja, gerade an den kleinen Grenzübergängen. Die Kontrolle ist hier das geringste Problem. Eher die Streckenführung.

Die als Dorf-zu-Dorf-Weg angelegte, komischerweise bloß anderthalbspurige Straße ist nämlich bald schon als Pendlerstrecke entdeckt worden. Dummerweise mündet der Weg mitten im Dorfzentrum: bei Kirche und Friedhof, bei Kindergarten und Schule, bei Freibad und Sportplatz.

Kreti und Pleti

Annamaria Kasparek wohnt in Ágfalva/Agendorf. Wirtschaftlich lebt sie allerdings in Eisenstadt, wo sie seit mehr als zehn Jahren das Landhausstüberl führt. Dort trifft sich, wenn schon nicht Gott und die Welt, so doch Kreti und Pleti der burgenländischen Landesverwaltung und -politik. In dieser ist die Frage der Grenze immer wieder auch einer Antwort wert.

Nicht immer einer g'scheiten. Weil nicht immer gleichen sie z'samm in Eisenstadt. Aber das tun sie ja in Budapest, in Wien oder in Brüssel auch nicht. (Wolfgang Weisgram aus Sopron-Umgebung, 30.11.2017)