Intensität mit Bach und Nono – Gidon Kremer.

Wien – Das besonders Leise, also Musizieren an der Schwelle zum Verschwinden, scheint die diskreteste, subtilste Form der Virtuosität. Die Ränder der Dynamik aufsuchen und doch die Präsenz der Töne zu bewahren – es ist Geiger Gidon Kremer bei Johann Sebastian Bach in diesem Sinne also virtuos gelungen.

Bachs Chaconne (Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo), diese tiefgründige instrumentale Grüblerei, bietet natürlich zusätzlich die Möglichkeit, über das ausschließlich Intime der eleganten Linien hinauszuragen und extrovertiert zu punkten.

Kremer, der intensive Risikomusiker, versteht es – bei seinem Abend im Rahmen des Festivals Wien Modern – denn auch, das Ruppige, das Stampfend-Tänzerische mitunter knirschend in Szene zu setzen. Es scheint, als würden die schier endlosen, intensiven Arpeggiopassagen unter seinen Fingern regelrecht aufschreien. Zusammen mit dem filigranen Offenlegen der kontrapunktischen Geflechte demonstriert dies die Fülle an Schattierungen, die Kremer gegeben sind.

Der Spaziergang

Das Intime dieses barocken Monuments passte gut zur nahenden Atmosphäre, die im Mozartsaal schließlich Kremer – im verdunkelten Raum – zum spielenden Wanderer mutieren ließ. Es wurde ein Spaziergang quasi durch sich selbst: Luigi Nonos La lontananza nostalgica utopica futura. Madrigale per più caminantes con Gidon Kremer (1988-1989) basiert auf komprimierten Improvisationen Kremers. Luigi Nono hat sie spät in seinem politisch engagierten Schaffen verarbeitet. Sie bilden eine Skulptur, die Kremer spielend durchschreitet, wobei wieder Filigranes dominiert. Manche Töne hängen zauberhaft am seidenen Faden der Fast-Stille.

Auch die Lautsprecher im Mozartsaal (Klangregie durch Vilius Keras) entlassen tendenziell eher eine entschleunigte Klangwelt, die zwar schroff und fragmentiert wirkt. Sie verweilt aber immer im Schummrigen und Verhaltenen. Kremer meditiert hier quasi über sich selbst, "überspielt" instrumental seine eigenen Gedanken und wirkt wie ein "Alter Echo". Am Ende der "Selbstbegegnung" geht der Solist spielend ab. Er zelebriert das Verschwinden wie bei Bach. Nun aber mit theatralischen Mitteln der längst klassischen Moderne. (Ljubisa Tosic, 29.11.2017)