Angela Merkel will in eine große Koalition, Martin Schulz zögert noch.

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Zu einem eineinhalbstündigen Gespräch hatte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz am Donnerstagabend eingeladen. Und dann saß man zwei Stunden zusammen in Schloss Bellevue. Das wurde natürlich, mangels konkreter Aussagen, am Freitagmorgen im politischen Berlin so gedeutet: Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD sind sich einig, sie wagen sich über Sondierungen über eine weitere große Koalition. "Bild.de" meinte es als Erstes zu wissen und titelte: "Exklusiv – Grünes Licht für GroKo-Verhandlungen".

Agenturen hängten sich mit Eilmeldungen an und verbreiteten die Kunde – zumal der thüringische CDU-Chef Mike Mohring erklärte: "Der Weg für eine große Koalition ist bereitet." Und zudem von einem "guten Fahrplan für einen Einstieg in eine große Koalition" sowie einer möglichen Regierungsbildung bis März sprach.

Doch sie alle hatten die Rechnung ohne Martin Schulz gemacht. Der SPD-Chef trat um 12.15 Uhr im Willy-Brandt-Haus vor die Presse, und man sah gleich, dass er nicht bester Laune war.

SPD hat keinen Zeitdruck

"Es gibt keinen Automatismus für eine große Koalition", erklärte Schulz. Grünes Licht für Sondierungsgespräche könne er "klar dementierten". Offenbar sei das Gerücht von der CDU in die Welt gesetzt worden.

Er habe auch mit Merkel telefoniert, berichtete Schulz, und ihr dabei erklärt, dass "dies inakzeptabel" sei. Denn: "Wer Falschmeldungen in Umlauf setzt, zerstört Vertrauen." Die SPD habe viele Optionen, man werde jetzt zunächst am Montag in den Gremien beraten. Dann steht nächste Woche von Donnerstag bis Samstag auch noch der SPD-Parteitag in Berlin auf dem Programm.

In Parteikreisen hieß es am Freitag, der Vorstand werde dem Parteitag wohl vorschlagen, dass die SPD in "ergebnisoffene" Gespräche mit der Union gehen solle. "Wir haben keinen Zeitdruck", sagte Schulz.

Im neuen Spiegel nennt er jedoch die Bedingungen für eine große Koalition: Die deutsche Europolitik werde sich ändern müssen. Eine positive Antwort auf die EU-Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron werde "ein Kernelement bei jeder Verhandlung mit der SPD sein". Er sei für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und einen EU-Finanzminister.

Neues Abtreibungsrecht

Innenpolitisch werde seine Partei eine umfassende Erneuerung des Pflegesystems und der Gesundheitsversorgung zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung machen, sagte Schulz. Außerdem fordern die Sozialdemokraten eine Reform des Abtreibungsrechts. Sie wollen Ärzten ermöglichen, dass sie etwa auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen.

Ob das Anreiz genug für Teile der eigenen Partei sein wird, ist fraglich. Die Meinungen in der SPD sind geteilt. SPD-Vizechefin Manuela Schwesig sprach von "massiver Ablehnung einer großen Koalition, aber auch Skepsis vor Neuwahlen und vielen Befürwortern von dritten Möglichkeiten". Eine dritte Möglichkeit wäre die Tolerierung einer CDU-geführten Minderheitsregierung.

Vor allem die Jusos sind klar gegen die Wiederauflage eines schwarz-roten Bündnisses. Sie starteten am Freitag unter dem Motto "NoGroKo – für eine klare und glaubwürdige SPD" eine Petition, die möglichst viele SPD-Mitglieder unterschreiben sollen.

Neue Führung für AfD

Darin heißt es: "Die große Koalition wurde am 24. September abgewählt. Mit einem gemeinsamen Minus von 13,7 Prozentpunkten ist deutlich: Die große Koalition der kleinen Kompromisse trifft nicht mehr auf Zustimmung!"

Vor der SPD hält an diesem Wochenende in Hannover die AfD ihren Parteitag ab. Es ist der erste, seit die Partei in den Bundestag eingezogen ist, und er dürfte turbulent werden, denn die Delegierten müssen eine neue Führung wählen. Seit dem Abgang von Frauke Petry führt Jörg Meuthen die Partei alleine.

Doch es gibt einen lauten Ruf nach einer weiteren Doppelspitze. Meuthen will wieder kandidieren, an seine Seite möchte der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski. Doch er hat keine Unterstützung vonseiten des mächtigen Strippenziehers, Fraktionschef Alexander Gauland. Möglicherweise wirft der in Hannover in letzter Minute selbst den Hut in den Ring, um Pazderski zu verhindern. (Birgit Baumann aus Berlin, 1.12.2017)