Beim Ausbau der direkten Demokratie trennt ÖVP und FPÖ die jeweilige Haltung zu möglichen Volksabstimmungen über einen Verbleib in der EU.

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Vor Referenden soll den Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes eine zentrale Rolle zukommen – dazu stehen nach blauer Logik einige Neubesetzungen im Sinne der FPÖ an.

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FPÖ-Verhandler Bösch will, dass auch hierzulande Referenden über einen EU-Austritt "möglich gemacht" werden.

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ÖVP-Mann Lopatka stemmte sich bei einem Schweiz-Besuch dagegen, denn: "Das ist Teil von unserem Rechtsbestand, zu dem wir uns völkerrechtlich verpflichtet haben."

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Verfassungsrechtler Mayer warnt vor noch mehr Einfluss der Politik auf den Verfassungsgerichtshof – etwa über die anstehende Neubestellung von Verfassungsrichtern.

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Wien – Kommt es zu dem von ÖVP und FPÖ geplanten neuen Modus für Volksabstimmungen, soll dem Verfassungsgerichtshof nach blauem Plan künftig eine zentrale Rolle vor der Abhaltung der Referenden zukommen: Konkret setzen sich Strache, Hofer & Co. nach erfolgreichen Volksbegehren, die von mehr als vier Prozent der Bürger Unterstützung erhalten, für eine Prüfung des Höchstgerichts ein, ob eine entsprechende Ja/Nein-Frage dazu dem Völkerrecht oder dem Verfassungsrecht entspreche – und erst wenn kein Veto erfolgt, soll das noch schwerwiegendere, dann bindende, Plebiszit eingeleitet werden können.

Noch sind sich ÖVP und FPÖ beim Thema direkte Demokratie uneinig. Die ÖVP will bestimmte Themen nicht zur Abstimmung bringen. "Entscheidend ist es mal, die Grundrechte und auch die Völkerrechte außer Streit zu stellen", so Nationalratspräsidentin Elisabeth Köstinger ("ZiB 1").
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Zwar ringen die blau-türkisen Koalitionsverhandler hier noch um einen Kompromiss, weil die ÖVP auf eine Zustimmung von mindestens zehn Prozent für Volksbegehren pocht, ehe Abstimmungen abgehalten werden sollen. Dazu kommt nun aber, dass sich zwischen den Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP) und Reinhard-Eugen Bösch (FPÖ) unlängst bei einem Besuch in der Schweiz zur Information über das eidgenössische System auch inhaltlich schwerwiegende Differenzen auftaten.

Eindeutige Worte in Bern

Wie die APA am Sonntag berichtete, pochte Bösch, blauer Koalitionsverhandler beim Unterkapitel "Landesverteidigung", dort nämlich darauf, dass hierzulande auch eine Abstimmung über einen EU-Austritt "möglich gemacht" werden müsse, schließlich sei dieser Schritt ja auch "im EU-Vertrag festgelegt", allerdings sei das "jetzt nicht das Ziel, das wir haben".

ÖVP-Mann Lopatka hingegen beharrte darauf, dass das EU-Primärrecht davon auszunehmen ist, denn: "Das ist Teil von unserem Rechtsbestand, zu dem wir uns völkerrechtlich verpflichtet haben." Beide Mandatare betonten, dass sie den zuständigen Verhandlern bei den Regierungsgesprächen nicht vorgreifen wollen – und das oft gepriesene Schweizer Modell sehen die zwei übrigens nur bedingt für Österreich geeignet.

Neos-Boss Matthias Strolz, dessen Partei die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung ermöglichen könnte, hielt in der ORF-Pressestunde dazu fest: Ein Öxit-Referendum solle nur vom Parlament eingeleitet werden können. Dazu sprach er sich für eine einjährige "Cooling Off"-Phase zwischen Volksbegehren und entsprechender Volksabstimmung aus.

Die NEOS seien klar für eine Stärkung direktdemokratischer Instrumente – Minderheitenrechte, Grundrechte und völkerrechtliche Verträge sollten davon allerdings ausgeschlossen werden, so Strolz.
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Zweifel an Tempo

Doch wie schnell wären die hiesigen Höchstrichter überhaupt in der Lage, die Legitimität von Referenden zu beurteilen? "Bei Bedarf" könne der Verfassungsgerichtshof "rasch" zu einem Urteil kommen, heißt es dort unter Verweis, dass man auch als Schiedsstelle bei Streit in U-Ausschüssen "ohne unnötigen Aufschub" und "tunlichst binnen vier Wochen" entscheiden müsse. Auch im Zuge des zweiten aufgehobenen Durchgangs bei der Bundespräsidentenwahl im Vorjahr wäre gemäß Gesetz "längstens innerhalb von vier Wochen nach Einbringung über die Anfechtung" befunden worden.

Grundsätzlich ist eine derartige Regelung für das Höchstgericht also vorstellbar, wie der scheidende Präsident Gerhart Holzinger vor kurzem erklärte. Doch bei sehr komplexen Materien, räumt man am Verfassungsgerichtshof ein, könne eine Überprüfung der Fragestellung für ein Referendum auch etwas länger dauern als bei den zuvor genannten Beispielen.

Verfassungsrechtler Heinz Mayer glaubt jedoch nicht, dass die Prüfung des Gesetzestextes, über den das Volk befinden muss, schnell erfolgen kann – im Gespräch mit dem STANDARD verweist er darauf, dass Gesetzesprüfungen derzeit auch "mindestens ein halbes Jahr" beanspruchen.

Warnung vor noch mehr Polit-Gewicht

Und der Experte warnt davor, dass dem Verfassungsgerichtshof über das umstrittene türkis-blaue Ansinnen zum Ausbau der direkten Demokratie "noch mehr politisches Gewicht zugewiesen werden soll", denn: "Damit würde die Politik noch mehr Einfluss bei der Bestellung von Verfassungsrichtern Einfluss nehmen wollen."

Hintergrund: Mit Jahreswechsel stehen neben einem Nachfolger für Holzinger, der in Pension geht, noch zwei Neubesetzungen unter den vierzehn Mitgliedern des Gerichtshofes an. FPÖ-Justizkoalitionsverhandler Harald Stefan hat schon vor der Nationalratswahl Anspruch auf zwei Richterposten angemeldet, weil das die politische Realität im Land abbilden würde. Davon auszugehen ist, dass die neue Koalition alle drei Posten im Paket besetzt.

Neue Farbenlehre

Konkret braucht es neben Holzinger Ersatz für Rudolf Müller und Eleonore Berchtold-Ostermann, die ebenfalls in Ruhestand gehen. Einst kamen sie auf einem SPÖ-Ticket beziehungsweise auf einem ÖVP-Ticket in den Verfassungsgerichtshof.

Formal obliegt die Bestellung des neuen Gerichtshofpräsidenten jedenfalls der Regierung. Als mögliche Variante gilt, dass Vizepräsidentin Brigitte Bierlein, einst unter Schwarz-Blau bestellt, nach Holzingers Abgang aufrückt – jedoch eventuell quasi nur interimistisch, weil auch sie in zwei Jahren das Pensionsalter erreicht haben wird. Als weitere Anwärter für das hohe Amt gelten Christoph Grabenwarter und Georg Lienbacher, beide ebenfalls bereits Verfassungsrichter.

VdB ernennt auch hier

De jure steht wiederum dem Nationalrat die Bestellung der Nachfolge Müllers zu, dem Bundesrat jene von Berchtold-Ostermann – doch de facto könnten sich hier die Freiheitlichen im Zuge eines Regierungspaktes also tatsächlich mit Vorschlägen durchsetzen.

Ernannt werden die neuen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes übrigens vom Staatsoberhaupt – also von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. (Nina Weißensteiner, 3.12.2017)