Wien – Nicola Werdenigg ist nach dem Widerhall auf die von ihr im STANDARD-Sportmonolog erhobenen Missbrauchsvorwürfe im österreichischen Skisport in ihrem Vorhaben bestärkt worden. "Es war mein ganz großes Motiv, an diesen Systemen etwas zu ändern", sagte die ehemalige Skirennläuferin im Interview mit der APA. Ihre ganze Energie steckt sie in die Gründung einer Plattform außerhalb aller Sportsysteme.

Nach wie vor würden ihr Vorfälle geschildert. "Es kommen irrsinnig viele Meldungen, viele reden jetzt drüber. Das zeigt offen, dass dieser Machtmissbrauch in Sportverbänden System hat." Aufklärung, Aufarbeitung, Prävention nennt sie die nun nötigen Schritte. "Es soll ja nicht der Sport generell vernichtet werden. Und es soll nicht, wie in meinem Fall, die Freude am Skifahren vergällt werden. Es soll eine Umstrukturierung erfolgen und wir müssen Präventionsarbeit machen."

Der Skiverband (ÖSV) hat eine Zusammenarbeit mit Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic vereinbart. Es sei aber ganz wichtig, dass es für die Meldung von Fällen neutrale Stellen gebe, meinte Werdenigg. "Ich möchte stark betonen, dass ich keine Zweiflerin an der fachlichen Kompetenz oder Integrität von Frau Klasnic bin. Aber es ist der Fall, dass die Leute dem Aufklärungssystem oder der Kommission, die vom ÖSV selbst gewählt wurde, extrem misstrauen. Und dass sich ganz viele wahrscheinlich nicht melden oder wissen wohin. Das Nicht-Wissen-Wohin hat auch eine emotionale Komponente. Das sind Leute, die zum ersten Mal seit 10, 20, 30, 40, 50 Jahren reden wollen. Der Leidensdruck ist so groß. Und die Befreiung nach solchen Gesprächen ist so wichtig."

Dokumentation begonnen

Werdenigg hat sich deshalb mit der Verbrechensopferhilfe "Weißer Ring" zusammengetan, außerdem habe sich das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) an sie gewandt. "Ich habe gebeten, dass IRKS Kontakt mit Weißen Ring herstellt, und dass man sofort zu dokumentieren anfängt. Damit alles ganz fundiert begleitet ist. Wir werden die besten Leute zusammenholen." Weiters mit dabei ist die Sportwissenschafterin und forensische Psychologin Chris Karl, die im Rahmen des Projekts "KIMI" in Schulen über Präventionsmaßnahmen gegen sexuellen Missbrauch aufklärt.

"Es gibt in Österreich viel auch innerhalb vom Sport, es gibt '100 Prozent Sport', es gibt Initiativen in den Bundesländern. Uns geht es darum, dass wir diese losen Enden aufnehmen, dass wir miteinander vernetzen und eine breit gestreute Plattform schaffen." Diese "wird und kann und muss im Sport über die Grenzen von Österreich gehen". Denn Menschen, die im Umfeld des Sport sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch ausüben und nicht strafrechtlich belangt werden, würden einfach untertauchen und "dann halt in der nächsten Nation wieder auftauchen. Das ist das Übel."

Auf der anderen Seite stehe die Aufarbeitung und Forschung. "Wir brauchen eine fundierte wissenschaftliche Begleitung bereits jetzt, wenn die Meldungen eingehen. Jetzt bekommt man die Kennzahlen und Details." Forschungseinrichtungen sollen für eine möglichst lückenlose Dokumentation von Anfang an mit eingebunden werden. "Damit man Ausgangsmaterial für gute Forschung hat und für die Prävention Zahlen vorliegen. Damit man auch differenzieren kann, was ist nur in Sportsystemen und was generell in Systemen so."

Skisport als Identifikationsfläche

Nochmals betonte Werdenigg, dass es ihr überhaupt nicht darum gehe, den ÖSV oder eine Person anzupatzen. "Niemandes gute Intention will ich infrage stellen. Aber es wissen viele im Skiumfeld nicht einmal die richtige Terminologie, die kennen die Begrifflichkeiten nicht." Der ÖSV sei auch ein spannender Fall, weil am Skisport in der Nachkriegszeit eine nationale Identifikation aufgebaut wurde. "Das war ganz wichtig für das angeschlagene Selbstbewusstsein für Österreich." Der Skisport sei stilisiert und von der Politik als Identifikationsfläche benutzt worden.

"Noch einmal, es ist nicht der Verband selbst, sondern die Sache, dass es um einen Verband geht, der auch ganz stark politisch eine Rolle gespielt hat und immer noch spielt. Das finde ich nochmals so bemerkenswert, wenn man das erforscht und aufarbeitet, dass man eben diese Strukturen dazu nimmt. Das mag in Deutschland ähnlich sein mit Fußball, bei uns ist es viel mehr der Skisport", sagte Werdenigg.

Das Vorhaben von Noch-Sportminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), eine Studie in Auftrag zu geben, die untersuchen soll, wie weit verbreitet sexueller Missbrauch im österreichischen Sport ist, begrüßt Werdenigg. "Ich finde es toll, dass man schnell reagiert hat. Es gibt jetzt mehrere Initiativen, wo Landesverbände was tun wollen, wo parteipolitische Dinge ins Spiel kommen. Ich finde generell jeden Ansatz richtig und wichtig. Nur sollte man sich ein darüberliegendes Konzept überlegen."

Eine repräsentative Studie könne durchaus ein guter Beitrag sein. "Aber das ist ganz was anderes, als das Dokumentieren in die Hand zu nehmen." Doskozil will außerdem Fördervergaben an Verbände an Präventionsarbeit knüpfen. "Das freut mich am allermeisten. Einen Verhaltenskodex, um gegen Gewalt vorzugehen, als Kriterium, das begrüße ich total. Dafür gebührt ihm vor seinem Amtsende ein Orden." (APA, 3.12.2017)