Aus bildungswissenschaftlicher Sicht wäre die Wiedereinführung der Ziffernnoten in den Volksschulen jedenfalls mit einem klaren "Ungenügend" zu bewerten.

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Die Aufregung in den vergangenen Tagen war groß, und noch immer glaubt man es kaum: Da zeigt die schulpädagogische Forschung seit Jahrzehnten auf, wie ungerecht die Ziffernnote als Form schulischer Leistungsbeurteilung ist – und was machen die offenbar im vorigen Jahrhundert sitzengebliebenen Kurzens und Straches (und deren beratende Lakaien)? Sie führen Ziffernnoten ein, die weder objektiv noch valide noch reliabel und deshalb ungerecht sind.

Wegen Starrsinns ausgetreten

Kein Geringerer als der frühere ÖAABler und Passauer Universitätsprofessor Rupert Vierlinger, der übrigens wegen der Starrsinnigkeit der ÖVP in dieser Frage aus dem ÖAAB ausgetreten ist, hat sein halbes Forscherleben dieser Frage gewidmet. Seine Ergebnisse: Weder messen die Noten "objektiv", weil verschiedene Lehrerinnen und Lehrer auf ein und dieselbe Arbeit stark differierende Noten geben, noch sind sie "valide". Das heißt, sie messen nicht, was sie vorgeben zu messen, weil z. B. unterschiedlich vorgetragene Leistungen (wie langsames oder flüssiges Sprechen bei exakt gleichem Inhalt) oder Schüler aus unterschiedlichen Sozialschichten sehr unterschiedlich bewertet werden. Und schließlich sind sie auch nicht "reliabel", weil bei Vorlegen der exakt gleichen Arbeit nach einiger Zeit dieselbe Lehrperson die Arbeit anders benotet. All das ist seit Jahrzehnten empirisch nachgewiesen.

Direkte Leistungsvorlage

Unsere ach so gebildeten Spitzenpolitiker schwadronieren von einer angeblich linken Schulpolitik (obwohl die ÖVP mitregierte!) und scheinen all das offenbar samt ihrem Beraterstab nicht zu wissen (Salcher, schäm dich!). Dagegen gibt es längst – auch durch die Massen an Schulversuchserfahrungen – gängige und pädagogisch sinnvolle, anregende, motivierende Leistungsbeurteilungsformen. Rupert Vierlinger selbst hat die "Direkte Leistungsvorlage" (DLV) entwickelt, eine Dokumentation über das Gekonnte und Erreichte, in die auch Faktoren wie Kooperation und sozialer Zusammenhalt Eingang finden, etwas, was bei der individualisiert-konkurrenzhaften Ziffernnote überhaupt nicht vorkommt – im Gegenteil: Eifersüchtiges Um-sich-Spähen, wer die bessere oder schlechtere Note hat, ist Bestandteil dieses antiquierten Unsinns. Aber auch andere Bewertungsformen, "Lernstandsprofile", "Portfolios", ja sogar Selbstbewertungen ("In Mathe bin ich mit mir zufrieden!") sind in anderen Ländern Europas erprobt und haben sich bewährt.

Keine Rede kann davon sein, dass Noten ein Motivationsmittel zum Lernen seien. Sie sind bestenfalls eine Angstspritze. Man muss sich doch fragen, ob es nicht um Inhalte, um Begeisterung für dies und jenes gehen sollte. Selbst wenn der "Kampf" (jawohl!) um Noten Kinder motivieren würde, müssten sich verantwortungsvolle Pädagoginnen und Pädagogen fragen, ob dies die geeignete Motivationsgrundlage ist oder schon ein Zeichen verbogener Lernbereitschaft.

Inhaltliche Dokumentationen, auch eine gut differenzierte verbale Beurteilung gehen dagegen mehr auf Inhalte oder auf die Mühe, die ein Schüler oder eine Schülerin sich macht, ein. Pseudoobjektive (weil's keine Objektivität gibt) Messungen wie Ziffernnoten hingegen kleben nur am Endergebnis – und das wie gesagt schlecht.

Lehrernöte

Erst recht entpuppt sich der "Messbetrüger Ziffernnote" bei Fragen des Übertritts in weiterführende Schulen als ein schicksalhaftes Urteil über einen Bildungsverlauf. Die Folgen in Form massiver Lehrerinnen- und Lehrernöte durch Druck der Eltern sind bekannt.

Dass Ziffernnoten auch ein gefährlicher, Kinder entwertender und letztlich kinderfeindlicher Unsinn sein können, zeigt sich in der Zeugniszeit: Ich erinnere mich an die Bemühungen des damaligen Orff-Institut-Leiters in Salzburg, Wilhelm Keller, schon in den 1970er-Jahren, die Ziffernnoten wegen der Gefahr, dass sie – was immer wieder vorkommt – Schülerinnen und Schüler zu suizidalen Kurzschlüssen treiben, abzuschaffen. Sicher ist eine schlechte Note allein kein Suizidgrund – aber als Auslöser bei sonstigen unglücklichen Umständen diente sie allemal. Nicht umsonst haben Medien zur Zeugniszeit immer wieder "Krisentelefone" eingerichtet, wo sich deprimierte Schülerinnen und Schüler melden konnten. Ist das nicht blanker Hohn?

Bleibt zu hoffen, dass die Gewerkschaften ihre schlechte Gewohnheit, nur aufzuschreien, wenn es um das Lohnsackl oder die verpflichtenden Unterrichtsstunden geht, ablegen. Noten, erst recht für so kleine Kinder, sind etwas Antiquiertes, das den genannten Gütekriterien für halbwegs exakte und gerechte Bewertungsmaßstäbe nicht entspricht und allein deshalb weggehört. Die versteckten Rohrstaberln von Strache und Kurz, die offenbar selbst mit diesem "motivierenden" Instrument keinen höheren Bildungsabschluss realisieren konnten, können ruhig im Pädagogikmuseum bleiben.

Unlesbare Noten

Den Lehrerinnen und Lehrern empfehle ich, was der geschätzte Volksschullehrer meiner Kinder damals machte, als er am Ende (und erst dann) der Volksschule wegen des Übertritts eine Ziffernnote geben musste: Er schrieb mit einem Fineliner die Ziffernnote so winzig, dass man sie kaum lesen konnte, und in die entsprechende Zeile groß eine sinnvolle Verbalbeurteilung. (Josef Christian Aigner, 3.12.2017)