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Von der Stadtverwaltung werden in Warschau Feuerkörbe (hier im Jahr 2012) aufgestellt, wenn die Temperaturen eisig werden.

Foto: REUTERS/Peter Andrews

"Die ersten Frostnächte sind besonders schlimm", sagt Olek und reibt sich die Hände. Eine warme Fellmütze hat er schon in einer der Kleiderkammern in Warschau gefunden. Auch einen dicken Schal und mehrere Pullover, die er übereinander anziehen kann. Was ihm noch fehlt, ist ein Paar dicke Handschuhe.

Noch schläft er über dem Heizungsschacht eines Einkaufszentrums, aber wenn es minus zehn oder zwanzig Grad kalt wird, wie oft in Polen, muss er doch in eines der Obdachlosenasyle ausweichen. "Sie mögen mich dort nicht besonders", grinst er mit den letzten vier Zähnen und zieht einen Flachmann aus der Manteltasche. "Mit Alkohol lassen sie einen nicht rein, aber ohne Alkohol erfriert man draußen sofort." Er zuckt die Schultern: "Das wird schon irgendwie!"

Jährlich 200 Erfrorene

Fast jedes Jahr erfrieren in Polen um die 200 Menschen. Die meisten sind obdachlose Männer zwischen vierzig und fünfzig Jahren. Oft schlafen sie an einer Bushaltestelle ein, an der es einen Eisenkorb mit rot glühenden Briketts zum Aufwärmen für alle gibt. Oder sie fallen in den weichen Schnee, um dort ihren Rausch auszuschlafen. Frauen hingegen sterben oft an Unterkühlung in der eigenen Wohnung.

Wenn die Pension nicht mehr für die Miete reicht, sondern nur noch für Medikamente und ein paar Lebensmittel, stellen die Vermieter irgendwann Wasser, Strom und Heizung ab. Dann kommt es vor, dass es drinnen kälter ist als draußen. Während das Ministerium für Familie, Arbeit und Sozialpolitik für 2017 von rund 35.000 Obdachlosen in ganz Polen ausgeht, nennen NGOs mit knapp 500.000 eine wesentlich höhere Zahl. Für den enormen Unterschied sind die verschiedenen Kriterien verantwortlich, die den Zählungen zugrunde liegen.

"Wir vergeben Sterne für die Obdachlosenasyle", grinst Olek, der früher bei der polnischen Bahn arbeitete. "Aber ein Fünf-Sterne-Asyl mit kleiner Bar und ein bisschen Musik zum Tanzen gibt es in Warschau leider nicht", bedauert er.

Überfüllte, stinkende Notunterkünfte

Als Oleks Probleme mit dem Alkohol zunahmen, verlor er erst seinen Job, dann trennte sich seine Frau von ihm, und auch der Rest der Familie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. "Das größte Asyl ist zugleich das schlechteste." Gestenreich deutet er an, wie es dort aussieht: drei Betten übereinander, alles eng und überfüllt mit Menschen. "Man kann dort duschen, aber es stinkt dort erbärmlich." Olek hält sich die Nase zu. "Da bleibt man lieber draußen, aber mit Alkohol nehmen sie einen ja sowieso nicht."

Vor etlichen Jahren hatte Krakau die Idee, eine kleine Siedlung mit Blockhäusern für Obdachlose zu bauen, jeweils für drei bis vier Personen, mit Bad und Toilette, einem gemeinsamen Speisesaal, mit Kleiderkammer und Waschmaschinen. Sozialarbeiter, Ärzte und Arbeitsvermittler sollten dabei helfen, dem einen oder anderen eine Rückkehr ins normale Leben zu ermöglichen.

Doch als sich andeutete, dass sich ganze Heerscharen von Obdachlosen auf den Weg nach Krakau machen, bekamen es die Krakauer mit der Angst zu tun. Sie wollten nicht zur Hauptstadt der Obdachlosen Polens werden. Und so wurde das Projekt nie realisiert. "Schade", sagt Olek. "Ich wäre auch nach Krakau gegangen." (Gabriele Lesser, 4.12.2017)