Schottland, Katalonien – und jetzt Korsika? Es ist unbestreitbar, dass die Separatisten in Europa derzeit im Aufschwung sind. Ihre Situation ist nicht unbedingt vergleichbar. Und doch gibt es eine auffällige Gemeinsamkeit: Betroffen sind die größeren Staaten Europas mit zentralen Regierungen, Großbritannien, Spanien, Frankreich und auch – zumindest früher – Italien, wenn man die Lega Nord dazuzählen will. Nur in Deutschland bleiben regionale Forderungen schwach, was seinen Grund im föderaleren Staatsaufbau haben mag. Damit wird klar: Die Globalisierung und Digitalisierung unserer Gesellschaft steigert das Bedürfnis nach Bürgernähe, weshalb Föderalismus und Autonomie im Trend liegen. Das ist das pure Gegenteil des pyramidalen und autoritären Staatsaufbaus, mit dem Charles de Gaulle Frankreich kontrollieren wollte.

Der Wahlausgang in Korsika zeigt nun aber auch die Schwäche des französischen, bis auf die Revolution von 1789 zurückgehenden Zentralstaats. Randregionen vom Elsass über die Bretagne bis zur unterentwickelten Mittelmeerinsel fühlen sich nicht nur geografisch, sondern auch politisch und kulturell weit entfernt vom "Machtzentrum Paris". Das heißt nicht unbedingt, dass die Korsen die Unabhängigkeit anstreben – allein schon wegen der großzügigen Subventionen, mit denen Frankreich den sozialen Frieden auf seiner "Insel der Schönheit" gewährleistet. Die siegreiche, aber nicht rundum einige Koalition in Ajaccio will die Frage einer Abspaltung vom Festland zehn Jahre lang ruhen lassen. Solange darf Frankreich aber nicht zuwarten, um seinen Bürgern und Regionen mehr Mitspracherechte einzuräumen. (Stefan Brändle aus Paris, 4.12.2017)