Foto: Nathan Murrell
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Fotos: Nathan Murrell
Foto: Nathan Murrell

Elfie Semotan zählt zu den bekanntesten Fotografinnen unserer Zeit. Doch anders als vor der Linse schätzt sie zu Hause das Unperfekte und Chaotische. Ihr Bauernhaus im Südburgenland ist seit mehr als 40 Jahren eine Dauerbaustelle.

"Gefunden haben wir das Haus 1973. Also eigentlich wurde das Haus für uns gefunden. Mein damaliger Mann Kurt Kocherscheidt kannte das südliche Burgenland schon ganz gut. Sein Schulfreund Peter Handke hatte hier, und zwar in Neumarkt an der Raab, seinen ersten Film gemacht: "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter". Und dann waren da noch Feri Zotter und Eduard Sauerzopf. Sie hatten eine enge Verbindung zu Alfred Schmeller, damals Direktor des 20er Hauses, der sich in besagtem Neumarkt an der Raab ein strohgedecktes Haus gekauft hatte und sich dafür engagierte, die schönsten strohgedeckten Bauernhäuser des Ortes zu erhalten und unter Denkmalschutz zu stellen.

Wo früher einmal Heu gelagert wurde, befindet sich nun das Wohnzimmer, eine Collage aus Hirschgeweihen, getrockneten Kürbissen und wild gemusterten Stoffen.
Foto: Nathan Murrell

Und so kam es also, dass uns Zotter und Sauerzopf durch die Gegend gefahren und uns ein paar leer stehende Objekte gezeigt haben. Als wir dann hierhergekommen sind und das Grundstück betreten haben, war das so was wie Liebe auf den ersten Blick. Zuerst sahen wir das Haus, das einsam und allein und irgendwie auch ernst am Hang stand. Und dann haben wir den blauen Kachelofen in der Küche entdeckt! Wie ein riesiges blaues Gebirge stand er da. Das Haus war zu diesem Zeitpunkt zwar unbewohnt, aber der Blick durch das Fenster genügte.

Der blaue Kachelofen in der Küche ist schon seit der ersten Stunde da.
Foto: Nathan Murrell

Für Kurt und mich – damals hochschwanger – war klar, dass unser Kind zumindest teilweise in der Natur aufwachsen sollte. Da gibt es eine physische Freiheit, die in der Stadt nicht existiert. Ein städtisches Umfeld, in dem man das eigene Kind keine Sekunde außer Augen lassen kann, wollte ich nicht, zumindest nicht ausschließlich. Hier ist es schön und ruhig, hügelige Landschaft, ein paar Obstbäume, nichts Spektakuläres, aber genau das ist ja der Reiz. Wir sind hier mitten im Grünen, ein paar Kilometer von Jennersdorf entfernt.

Ich schätze die Ruhe und die Abgeschiedenheit. Das ist mir eine willkommene Abwechslung zu meiner Wohnung in Wien, in der ich mich irgendwie öffentlicher fühle, und vor allem auch zu meinem Apartment in Chinatown in New York. Da drängt sich das Außen unweigerlich auf. Hier jedoch kann ich mich zurückziehen. Hier kann ich mich voll und ganz auf meine Arbeit und auf die schönsten und einfachsten Dinge im Leben konzentrieren.

Immer wieder finden sich im Haus alte und neue Kaffeekannen, eine Leidenschaft der Fotografin.
Fotos: Nathan Murrell

Das Haus war damals, als es für uns gefunden wurde, ganz gut beisammen, hatte aber weder Heizung noch Badezimmer. Also haben wir das Haus im Laufe der Zeit um ein Badezimmer, um diverse Zu- und Ausbauten, um ein Gästehaus, um ein Atelier und um einen Turm erweitert. Heute hat das Ganze rund 420 Quadratmeter. Im Grunde genommen hatten wir hier 40 Jahre lang immer wieder Baustelle – bis jetzt, ununterbrochen.

Ich liebe Baustellen. Das ist Leben, das ist Veränderung, das ist permanente Improvisation. Immer wieder fällt einem etwas ein, immer wieder entdeckt man etwas bislang Unentdecktes, immer wieder legt man sich einen neuen Lieblingsplatz zu. Und den Staub, den muss man halt in Kauf nehmen.

Und beim Guglhupf handelt es sich um ein einst essbares Hochzeitsgeschenk, das Elfie Semotan und ihr damaliger Mann Kurt Kocherscheidt in Kunstharz getaucht haben.
Foto: Nathan Murrell

Doch das ist mir weitaus lieber als in den USA, wo es üblich ist, dass einem der Architekt das Haus entwirft, dass sich der Inneneinrichter um die Möbel kümmert und dass einem ein professioneller Dekorateur die kleinsten Dinge aussucht. Das wäre für mich eine höchst unbefriedigende Situation. Das wäre mentale Stagnation. "Schöner wohnen" und jede Form einer geordneten, bürgerlichen Existenz finde ich einfach trostlos. Ich brauche das Unperfekte, das irgendwie auch chaotisch miteinander Vermischte.

Das merkt man natürlich auch an den Möbeln. Das Wichtigste ist, dass mir ein Möbelstück gefällt und dass es meinen Augen und meinem Körper guttut. Der Rest ist eigentlich egal. Es gibt keinen Stil, den ich konsequent verfolge, keine zusammenhängende Komposition, und bei einigen Stücken habe ich keine Ahnung mehr, warum sie überhaupt noch da sind. Gewohnheit, nehme ich an – oder vielleicht Sentimentalität. Was ich mir damals am Flohmarkt oder beim Altwarentandler gedacht habe, weiß ich zwar noch, daran kann ich mich ganz genau erinnern ... aber es trifft manchmal halt einfach nicht mehr zu. Die Dinge verändern sich." (15.12.2017)