Bruno Rossmann von der Liste Pilz sieht ein fragwürdiges Spiel: "Der Staat ist budgetär gut aufgestellt, doch ÖVP und FPÖ reden eine Budgetlücke herbei."

Foto: APA / Roland Schlager

Wien – Es war eine markante Zahl, die am Beginn der Koalitionsverhandlungen stand: Im kommenden Jahr werde das strukturelle Defizit im Staatshaushalt 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, verkündeten die Parteichefs Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache als Resultat ihres "Kassasturzes". Um auf die von der EU vorgeschriebenen 0,5 Prozent zu kommen, müsste Österreich demnach rund vier Milliarden Euro einsparen.

Doch diese Erkenntnis stößt auf Zweifel. Mitte November veröffentlichte die EU-Kommission eine deutlich entspanntere Prognose, und zum gleichen Schluss kommen nun heimische Experten: Der Fiskalrat schätzt die Lücke im Budget kleiner ein, als dies ÖVP und FPÖ taten.

Eigentlich wollte das Gremium, das mit gesetzlichem Auftrag die Staatsfinanzen überwacht, seine Prognose inklusive Empfehlungen von Präsident Bernhard Felderer erst am Donnerstag präsentieren, doch dem STANDARD liegen entscheidende Ergebnisse bereits jetzt vor. Diese stammen aus einer als "vertraulich" klassifizierten, internen Unterlage von Ende Oktober. Mehrere Beteiligte aus dem Fiskalrat bestätigen, dass die Zahlen gültig sind.

Laut dieser Berechnungen wird das strukturelle Defizit – Konjunktureffekte sind herausgerechnet – nach heuer 0,6 Prozent im nächsten Jahr ein Prozent betragen. Zieht man Kosten für Flüchtlinge und Terrorbekämpfung ab, wie sie die EU als Sonderausgaben anerkennt, dann beträgt das Minus 0,2 (2017) und 0,7 Prozent (2018).

"Nichts mit der Realität zu tun"

"Das Land ist budgetär gut aufgestellt", schließt Bruno Rossmann, Finanzexperte der Liste Pilz, aus den Daten, "doch ÖVP und FPÖ reden eine Budgetlücke herbei, die mit der Realität nichts zu tun hat." Welches Motiv die Koalition in spe haben könnte zu dramatisieren? Ein vermeintliches Budgetloch könne als Rechtfertigung für Einsparungen dienen, gerade im Sozialbereich, glaubt Rossmann, dem ohnehin Böses schwant. Türkis-Blau verspreche die Senkung der Ausgabenquote, gebe aber bei den Verhandlungen bisher "mit relativ lockerer Hand" Geld für Polizei und anderes aus: "Ich fürchte, am Ende werden hurtig Sozialleistungen gestrichen, um all das zu finanzieren."

Was aber auch die Daten des Fiskalrats offenbaren: Das strukturelle Defizit wird 2018 immer noch über dem EU-Limit von 0,5 Prozent liegen. Es sei möglich, dass der Staat die Vorgabe aus Brüssel "erheblich" verfehle, stellen die Experten fest.

Nach Maastricht-Definition (inklusive Konjunktureffekten) soll das Defizit 2019 bei 0,6 Prozent liegen, niedriger war es in den vergangenen 20 Jahren nie. Auf den Bestwert seit 2008, als die Finanzkrise ausbrach, steuert die Staatsschuldenquote zu: Diese soll von 83,6 Prozent (2016) auf 74,4 Prozent des BIP (2018) sinken – eine Folge des Wachstums und der Abwicklung der Hypo-Altlasten.

Stärker steigen sollen hingegen die Ausgaben für soziale Geldleistungen: 2017 plus zwei Prozent, 2018 plus 4,1 Prozent – Treiber sind die Pensionen. Relativ konstant bleiben die Flüchtlingskosten (ohne Familienbeihilfe, Familienabsetzbetrag, Grenzmanagement). Nach 1,8 Milliarden Euro 2016 werden diese heuer und im nächsten Jahr jeweils 1,7 Milliarden betragen. (Gerald John, 6.12.2017)