Glasfroschmännchen bewachen die Gelege, um sie vor Fressfeinden wie Wespen oder Schlangen zu schützen – eine Beobachtung im Regenwald bei der Tropenstation La Gamba.
Foto: Anton Weissenhofer

La Gamba – Am Anfang gab es nur eine Wellblechhütte. Gewiss, die Gegend war wunderschön und vielversprechend, erzählt Anton Weissenhofer heute. Aber wie sollte man dort arbeiten? Damals, 1993, waren er und sein Kollege Werner Huber nach Costa Rica in die Provinz Puntarenas gereist – zwei Biologiestudenten auf der Suche nach spannenden Themen für ihre Diplomarbeiten. Infrastruktur gab es kaum, sogar bei der Unterkunft musste improvisiert werden. "Wir haben bei einem Bauern gewohnt", berichtet Weissenhofer. Doch die Artenvielfalt der Region ließ das Duo nicht mehr los. Sie nahmen die Herausforderung an und gründeten praktisch aus dem Nichts die Tropenstation La Gamba. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Enormer Artenreichtum

La Gamba liegt knapp zwei Kilometer südwestlich der gleichnamigen Ortschaft am Rande des Nationalparks Piedras Blancas. Der Pazifik ist nicht weit, das Schutzgebiet selbst grenzt direkt an den Meeresarm Golfo Dulce. Die ganze Landschaft wird von einer besonders hohen Biodiversität geprägt. Im Wald von Piedras Blancas zum Beispiel gedeihen auf nur einem Hektar bis zu 180 verschiedene Baumspezies.

Zwei Faktoren begünstigen diesen Reichtum, wie Weissenhofer erläutert. Zum einen gebe es die hohen Niederschlagsmengen, mit jährlich rund sechs Litern pro Quadratmeter fast das Doppelte der umliegenden Regionen. Abgesehen davon habe die Gegend wohl erdgeschichtlich profitiert. "Am Golfo Dulce gab es wahrscheinlich ein Refugium." Das lokale Klima dürfte während der Eiszeiten ungewöhnlich mild geblieben sein. Viele Spezies konnten deshalb just hier überleben. In der Isolation jedoch nahm die Evolution weiter ihren Lauf. Neue Arten entstanden. Kein Wunder also, dass vier bis fünf Prozent der hiesigen Pflanzenarten sogenannte Endemiten sind. Sie kommen nirgendwo sonst auf der Welt vor.

Fortschritte

Vor drei Jahrzehnten war dieses Naturparadies akut bedroht. Das rund 160 Quadratkilometer große Areal des heutigen Nationalparks gehörte damals etwa ebenso vielen Landeigentümern, und die hatten ihre eigenen Vorstellungen. Der Wald sollte zu Geld gemacht werden. "Es wurde schon abgeholzt", so Weissenhofer. 1991 stellte die Regierung Costa Ricas einen Teil des Gebiets offiziell unter Schutz. Viele Flächen wurden auf Initiative des Wiener Musikprofessors Michael Schnitzler mit österreichischen Spendengeldern gekauft und in den Nationalpark eingegliedert. Seitdem hat sich Piedras Blancas überaus positiv entwickelt. Viele einst verschwundene Tierarten wie die Agutis seien zurückgekehrt, sagt Weissenhofer. "Die kommen sogar in unseren Garten."

Die von der Universität Wien betriebene Tropenstation dient als Forschungseinrichtung und Lehrstelle. Hunderte Fachleute und Studenten haben hier bereits gearbeitet. Anfangs führten Weissenhofer und seine Mitstreiter vor allem Bestandsaufnahmen durch. Das Ergebnis dieser jahrelangen Fleißarbeit kann sich sehen lassen. Eine ganze Reihe von Publikationen bietet jetzt Einblick in Biodiversität und Ökologie der Region – in tropischen Weltgegenden eher eine Ausnahme.

Inzwischen jedoch haben die Wissenschafter auch weiterreichende Ziele ins Auge gefasst. Eines davon ist die Einrichtung biologischer Korridore, die verschiedene Schutzgebiete miteinander verknüpfen sollen. Solche Verbindungen dienen dem Austausch zwischen unterschiedlichen Teilpopulationen. Denn für viele Tiere gilt: Wenn sie nicht wandern können, droht schnell eine Verarmung des Genpools mitsamt Inzuchteffekten.

Terrain zurückerobern

Die gezielte Wiederbewaldung von Weiden und Brachland kann hier Abhilfe schaffen. Neuer Baumwuchs soll Lücken zwischen noch existierenden Wäldern schließen und so die Entstehung der besagten Korridore ermöglichen. Mancherorts kann man der Natur freien Lauf lassen, sie erobert das verlorene Terrain selbst wieder zurück. Anderswo dagegen muss der Mensch durch Pflanzungen und Pflegemaßnahmen nachhelfen. Auf vielen Flächen bei La Gamba wuchert afrikanisches Gras der Gattung Brachiaria, sagt Projektleiter Peter Hietz von der Universität für Bodenkultur in Wien. "Wenn das nicht geschnitten wird, ist es in wenigen Monaten wieder zwei Meter hoch." Baumsetzlinge haben dann keine Chance. Auch Farne machen den Jungpflanzen das Leben schwer. Da kommt die Machete zum Einsatz.

Viel wichtiger als das Mähen sei allerdings die Auswahl der gepflanzten Bäumchen, wie Hietz betont. Je nach Standort braucht es unterschiedliche einheimische Arten – zum Teil auch solche, die schon fast ausgerottet wurden. "Die Herausforderung ist, Samen und Sämlinge zu finden." Diese werden im Nationalpark gesammelt und zunächst in eigenen Baumschulen aufgezogen.

An die 200 Baumspezies setzen die Experten zur Wiederbewaldung ein, mit zunehmendem Erfolg. In den vergangenen Jahren wurden rund 45 Hektar neu bepflanzt. Die Arten zeigen zum Teil enorme Wachstumsunterschiede, sagt Hietz. "Wir werden die Entwicklung dieser Bäume weiter verfolgen." In 30, 40 Jahren könnte der so entstandene Sekundärwald bereits über die halbe Biomasse eines alten Tropenwaldbestandes verfügen. Seltene Vögel wie der Baird's Trogon haben sich jetzt schon wieder angesiedelt.

Präsentation der Ergebnisse

Peter Hietz wird seine Forschungsergebnisse am 7. Dezember bei einer Spezialtagung am Fakultätszentrum Biodiversität der Universität Wien präsentieren. Eine weitere dort Vortragende ist Hannah Holzer von der Universität Innsbruck, deren Interesse den Gewässern rund um La Gamba gilt. Nördlich der Ortschaft fließt der Río Bonito. Mehrere Bäche, "Quebradas" genannt, münden in ihn. "Alle unterscheiden sich total, auch äußerlich", meint Holzer. Die Quebrada Negra zum Beispiel ist ein stark beschatteter Waldbach mit sehr feinem Sediment am Boden, der Río Bonito dagegen fließt durch ein weitgehend offenes Kiesbett. Zum Glück scheint Wasserverschmutzung in diesen Bereichen noch kein großes Problem zu sein. Überall tummelt sich reichlich Getier.

Die größten Bewohner der Flüsschen sind Kaimane, erklärt Hannah Holzer. Sie hat ihr Augenmerk allerdings auf Zehnfüßer gerichtet. Im Río Bonito und den Quebradas kommen mindestens neun verschiedene Arten von Flusskrebsen und Süßwasserkrabben vor, daneben auch Garnelen der Gattung Palaemon. Holzer untersucht, welche ökologischen Nischen die einzelnen Spezies besetzen. Da gibt es faszinierende Unterschiede. So hält sich der bis zu 17 Zentimeter lange Macrobrachium americanum bevorzugt in tieferen, ruhigen Bereichen auf und frisst dort unter anderem kleine Fische und Aas, während Macrobrachium occidentale, ein naher, kleinerer Verwandter, im Kies der schneller fließenden Strecken nach Insektenlarven sucht. Ökologen bezeichnen eine solche Trennung als "resource partitioning" – einer der Treibsätze der Evolution. Im Regenwald Costa Ricas findet das alles auf engstem Raum statt. Ein Paradies für Forscher. (Kurt de Swaaf, 7.12.2017)