Kardinal Schönborn und Life-Ball-Organisator Keszler vergangenen Freitag im Stephansdom.

Foto: APA/LIFE BALL/KATHARINA SCHIFFL

Zum Weltaidstag luden Kardinal Christoph Schönborn und Gery Keszler zum Gottesdienst für 36 Millionen Aids-Opfer ein. Ein interessantes Team – nach katholischer Lehre sind "homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz und ... sind in keinem Fall zu billigen", während der Life Ball die Lust in einer Vielzahl von Spielarten feiert. Nur: Die Diskrepanz der Standpunkte wäre einem naiven Beobachter nicht aufgefallen. Das wäre legitim – wäre nicht die Kirche außerhalb salbungsvoller Gottesdienste eine mächtige Gegnerin von Keszlers Anliegen.

Das unverändert gültige kirchliche Kondomverbot zum Beispiel wurde nicht erwähnt. In der Predigt spricht der Kardinal vom aufopfernden Einsatz des Bischofs de Jong aus Sambia für die Opfer; ich denke zuerst an Kardinal Otunga von Kenia, der Kondome und Aufklärungsliteratur öffentlich verbrennen ließ, während Priester den meistgefährdeten jungen Frauen den Kondomverbrauch verboten – gegen die Empfehlung der WHO. Nun war allen Beteiligten der Messe klar, dass das Verbot hier kaum mehr ernst genommen wird und wenig Schaden anrichtet. Das Elend, das es in den weniger aufgeklärten Gesellschaften verursacht, blieb taktvoll ausgespart.

Diesseitige Schadensminimierung – nicht angedacht

Vielsagend war die Predigt vor allem in dem, was nicht gesagt wurde: Von einzig zählender Liebe wurde gesprochen – vom Jüngsten Gericht, vor dem sich der schuldige Mensch für die Verurteilung seiner Mitmenschen, für die Nichtannahme seiner selbst rechtfertigen muss. Nur: Das Nichtannehmen der eigenen Liebesfähigkeit in wesentlichen Aspekten ist die zentrale Forderung der Kirche an Homosexuelle. Die Trauer des Kardinals um die toten Opfer war echt; was fehlte, war ein Bekenntnis zu radikaler und expliziter Umkehr im Umgang mit den noch Lebenden.

Zuversicht wurde folgerichtig an den verzeihenden Weltenrichter delegiert – der Papa wird's schon richten –, während eine diesseitige Schadensminimierung nicht einmal angedacht wurde. Den Opfern bleibt der Trost, dass ihr Leben zwar elend und ihr Tod bedauerlich ist – aber immer noch weniger grässlich als Zweifel an kirchlichen Lehrmeinungen.

Die Fürbitten enthielten den Wunsch, "das sinnlos Trennende zu überwinden". Die Bitte bildet ein stimmiges Ensemble mit der Erklärung der Bischöfe zur Einzigartigkeit der Ehe. Diese nämlich formuliert die Theorie der fundamentalen Verschiedenheit von Hetero- und Homo-Partnerschaften und fordert die Republik auf, diese Sicht im Gesetz abzubilden – der Verfassungsgerichtshof entschied indes, dass gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe offensteht. In weniger weihrauchschwangerer Luft würde vielleicht gefragt werden, wie stark die Verhinderung und Verachtung stabiler schwuler Paare jene Promiskuität mitbedingte, welche die Ausbreitung der Seuche so anfeuerte. Bischöfe interessiert das nicht – jeder Schritt zur Anerkennung war ein Erfolg gegen ihren Widerstand.

Good-Cop-Bad-Cop-Spiel

Ich kann verstehen, dass die Kirche mit ihrem Good-Cop-Bad-Cop-Spiel möglichst viele Mitglieder bedienen will. Was ich nicht verstehe: warum schwule und lesbische Interessenvertreter und -vertreterinnen mitspielen. Es muss ihnen doch klar sein, dass ein Miteinander mit dieser Kirche nicht möglich ist – oder, schlimmer: nur um den Preis der Aufgabe wesentlicher Forderungen im Kampf gegen HIV und für die Gleichstellung, letztlich: der Selbstachtung; denn ein erfolgreicher Kampf verlangt die Benennung des Feindes. (Christoph Krall, 6.12.2017)