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Straßburg/Brüssel – In der Diskussion über mehr direkte Demokratie im Zuge der Regierungsbildung in Österreich hat der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, vor einer "Ja/Nein-Demokratie" gewarnt. "Wer verwendet die Instrumente der direkten Demokratie derzeit? Brexit, Katalonien, Ungarn, Erdoğan", sagte Karas am Mittwoch in Brüssel.

"Mit Stimmungsdemokratie das System zu verändern ist eine heikle Angelegenheit", so Karas. Die Parlamente müssten aber stärker über ihre Rolle in der Demokratie debattieren und neue Wege als Repräsentanten der Bürger finden. "Das kann man nicht ersetzen durch Ja/Nein-Abstimmungen in einer immer komplexeren Welt."

So müsse es klarere Zuständigkeiten zwischen der europäischen und der nationalen Ebene geben, was die demokratische Legitimation, die Kontrolle und die Entscheidungen betreffe. "Subsidiarität heißt nicht Entweder-oder, sondern Aufgabenteilung."

Dr. Karas

Karas präsentierte vor Journalisten die Ergebnisse seiner gerade mit "sehr gut" bewerteten Dissertation an der Universität Wien unter dem Titel "Die europäische Demokratie – Grenzen und Möglichkeiten des Europäischen Parlaments". Seine Dissertation sieht Karas als "eine Arbeit gegen die Oberflächlichkeit" und "einen Beitrag zur Stärkung der europäischen Demokratie".

So habe das Europäische Parlament in jeder Frage, wo es legistisch an seine Grenzen gestoßen sei, diese Grenzen gesprengt. Als Beispiele nannte Karas die Mitwirkung der EU-Abgeordneten bei zunächst rein zwischenstaatlich organisierten Instrumenten in der Finanz- und Wirtschaftskrise. In diesem Zusammenhang begrüßte Karas den Ausbau des Eurorettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds, eine neue Haushaltslinie für ein Eurozonenbudget und einen EU-Finanzminister, wie es die EU-Kommission vorschlägt.

Für seine Dissertation hat Karas vier Fallbeispiele gewählt, neben der Finanzkrise auch die Flüchtlingspolitik, die Mitwirkung des Europaparlaments an Personalentscheidungen und Kontrollen sowie die Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten. Als Basis dienten ihm Interviews mit den Spitzenkandidaten von EVP, S&D, Alde und Grünen, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Guy Verhofstadt und Ska Keller.

Onlineumfrage

Ergänzt wurden die Interviews durch eine Onlineumfrage unter seinen Abgeordnetenkollegen. Dabei zeigte sich Karas "enttäuscht" von der geringen Antwortquote – 95 Abgeordnete füllten den Fragebogen aus, keine Antwort kam aus der rechtsgerichteten ENF-Fraktion, der auch die FPÖ angehört. "Ohne persönliche Gespräche und eine 'Telefonaktion' meines Büros wäre der Rücklauf für eine politikwissenschaftliche Auswertung zu gering gewesen", schreibt der ÖVP-Delegationsleiter in seiner Dissertation.

Angesprochen auf Kritik von Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) an der ÖVP, wonach Karas der einzige in der Partei sei, der noch eine europapolitische Agenda verfolge, sagte Karas: "Diese Arbeit zeigt, ich habe eine europapolitische Agenda, aber die haben andere auch." (APA, 6.12.2017)