Wien – Die Ausrede, ein Opfer sei dem Täter in das Messer gelaufen, ist nicht neu. Bei der Polizei hat Sheikho A. aber eine originelle Variation zu seiner Rolle beim Tod des 22-jährigen Mustafa A. angegeben: Das Opfer sei bei einer Verfolgungsjagd abrupt stehen geblieben, daher habe es einen tödlichen Messerstich in den Rücken erhalten. Das Problem dabei: Bei der Obduktion wurden zwei Lungenstiche festgestellt.

Bei seinem Mordprozess unter Vorsitz von Thomas Kreuter hält der 34-jährige Angeklagte diese Version also nicht mehr aufrecht, versucht aber zunächst, eine Notwehrsituation zu beschwören, die nicht einmal sein Verteidiger Rudolf Mayer sieht.

Prozess beginnt mit Verspätung

Die Verhandlung beginnt mit erheblicher Verspätung. Denn der Angeklagte ist mit dem Dolmetscher nicht einverstanden – obwohl er mit ihm spricht. Der Übersetzer verstehe ihn nicht, lässt der syrische Kurde ausrichten, der Dolmetscher spreche einen anderen arabischen Dialekt. "Aber Sie reden ja miteinander", ist Kreuter verwirrt. Möglicherweise geht es auch um persönliche Antipathie – der Dolmetscher wurde in A.s Untersuchungshaft von dessen Frau engagiert, kam aber nach dem dritten Treffen nicht mehr, da er die versprochene Entlohnung nicht erhielt.

Verteidiger Mayer kann die Situation nach einer Unterbrechung entschärfen, indem er einen irakischen Mitarbeiter seiner Kanzlei auftreibt, nach einem kurzen Gespräch kündigt der Anwalt dann an, A. werde sich schuldig im Sinne der Anklage bekennen und dann von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Eine Ankündigung, die sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, A. spricht sehr ausführlich über die frühen Morgenstunden in und vor dem Shisha-Lokal seines Schwagers am Lerchenfelder Gürtel.

Eine Flasche Wodka und ein Joint

Der Angeklagte arbeitete dort als Kellner. Mit einer Gruppe von drei Twens aus dem Irak kam es zu einer Auseinandersetzung. Das Trio hatte zwar eine Flasche Wodka bestellt, das spätere Opfer berauschte sich aber auch mit anderen Mitteln – einem Joint. Der Lokalbesitzer stellte ihn zur Rede, es entwickelte sich ein Streit.

Die Begleiter des späteren Opfers sagten aus, der junge Mann habe dem Besitzer unterstellt, er sei die Leibesfrucht einer Sexarbeiterin. Der Angeklagte sagt, er habe die Belegschaft als "Zuhälter" beschimpft. Außerdem habe der junge Mann plötzlich ein Messer gehabt und habe überwältigt werden müssen. Dass sein Schwager das Opfer blutig geschlagen habe, könne sein.

Küchenmesser mit 20-Zentimeter-Klinge

Das Trio wurde jedenfalls hinauskomplimentiert und der Rollbalken heruntergelassen. Vorbei war die Situation damit nicht. Im Gegenteil: "Sie sind vor dem Lokal gestanden und haben uns weiter beleidigt, unsere Mütter und Familien", behauptet der unbescholtene Angeklagte. "Ich war verärgert und sehr nervös." Das sei auch der Grund gewesen, warum er noch ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge nahm, ehe er mit seinem Schwager durch die Hintertür zu den Kontrahenten ging.

Bei der Polizei gab A. noch an, er habe vom Opfer draußen einen Faustschlag bekommen und sei ihm mit gezücktem Messer nachgelaufen. Als der junge Mann angehalten habe, habe er nicht mehr bremsen können und ihm unabsichtlich das Messer in den Leib gerammt.

Nun sagt er, sein Schwager habe mit dem Opfer gerauft, er habe die beiden anderen jungen Männer, die ebenfalls Messer dabeihatten, in Schach gehalten. Dann habe er irgendwann den Faustschlag bekommen und daraufhin seinen Gegner gestochen.

Opfer mit Gürtel geschlagen

Dem Senat ist nicht ganz klar, ob A. nun von Notwehr spricht und wie er geschlagen werden konnte. Denn selbst der Schwager hatte angegeben, das Opfer mit seinem Gürtel verprügelt zu haben. Als der junge Mann schon auf allen Vieren auf dem Boden kniete, seien die tödlichen Stiche gefallen.

"Du stechen Mustafa aus Wut oder aus Angst?", fragt Verteidiger Mayer seinen bulligen Mandanten, um die Sache klarzustellen. "Ich war nervös und von Sinnen", lautet die Antwort, ehe A. sich doch für den Zorn entscheidet: "Das ist mein Problem, dass ich sehr erregbar bin." Die Angst habe dabei eine Rolle gespielt, dass er danach zunächst nach Ungarn und schließlich nach Deutschland geflüchtet sei, wo er festgenommen werden konnte: "Ich hatte Angst vor Rache."

Mit sechs zu zwei Stimmen sprechen ihn die Geschworenen schließlich anklagekonform schuldig, die Strafe dafür beträgt 17 Jahre Haft. A. nimmt sich Bedenkzeit, der Staatsanwalt beruft, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 7.12.2017)