Bernhard Görg lehnte eine Koalition der ÖVP mit den Freiheitlichen ab, weil er Jörg Haider für einen "verantwortungslosen Spieler" hielt.

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Die am 3. Februar von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider unterzeichnete Präambel für ein schwarz-blaues Koalitionsprogramm.

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Wien – Damals, in der berühmten Nachtsitzung vom 2. auf den 3. Februar 2000, war Bernhard Görg der Einzige im ÖVP-Parteivorstand, der gegen die von Parteichef Wolfgang Schüssel paktierte schwarz-blaue Regierung gestimmt hat. Heute, knapp 18 Jahre später, könnte der ehemalige Chef der ÖVP Wien mit einer Koalition zwischen der ÖVP, die von Sebastian Kurz in "neue Volkspartei" umbenannt und von Schwarz auf Türkis umgefärbt wurde, und der FPÖ "gut leben", erklärt er im STANDARD-Gespräch.

Haider, der Hasardeur

Wie das? Was ist anders? "Die handelnden Personen, aber auch die FPÖ selbst", erzählt Görg. Und er beginnt mit Jörg Haider, dem personifizierten Konfliktzentrum von Schwarz-Blau anno 2000: "Ich habe Jörg Haider damals als einer von vielen wirklich als Dämon empfunden, aber aus ganz anderen Gründen als die anderen, vor allem auch internationale Beobachter. Ich habe ihn nicht als rechtsextrem oder NS-affin eingeschätzt – das ,Loblied' auf die Hitler'sche Beschäftigungspolitik haben, übrigens ebenso fälschlicherweise, auch größere Leuchten als Haider gesungen, etwa Golo Mann oder Helmut Schmidt. Ich war gegen Haider, weil ich ihn für einen geradezu verantwortungslosen Spieler und Hasardeur gehalten habe, was sich mit der Parteispaltung in Knittelfeld und mit dem Hypo-Debakel ja auch eindrucksvoll bestätigt hat."

Alle Höllenqualen angedroht

Haider war auch der Grund, warum die Vorstandssitzung damals – am Vorabend der turbulenten und von Präsidentenseite eisigen Angelobung von Schwarz-Blau, draußen wurde bereits protestiert – zwanzig Minuten unterbrochen werden musste, schildert Görg. Der konservative spanische Ministerpräsident José María Aznar begehrte, seinen Parteifreund Schüssel zu sprechen, "und hat ihm für den Fall einer Koalition mit der FPÖ alle Höllenqualen angedroht" – sie materialisierten sich dann in Form der EU-Sanktionen. Und parteiintern in einer "Jetzt erst recht"-Stimmung.

Görg, der die VP Wien von 1992 bis 2002 leitete, verweigerte zumindest zu seinem eigenen Seelenheil den Segen für das schwarz-blaue Bündnis, wofür ihn Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll "irrsinnig beschimpft hat", erzählt er: "Ich bin parteischädigend, überhaupt mache ich immer Probleme."

Jedenfalls kam Schwarz-Blau, mutierte später zu Schwarz-Orange und blieb bis Ende 2006.

Die FPÖ ist heute rechter und deutschnationaler

Elf Jahre später ein neuer Anlauf. Die FPÖ sei heute zwar "rechter und deutschnationaler als die Haider-FPÖ, aber deutlich berechenbarer", sagt Görg: "Ihr fehlt der irrlichternde-dämonische Wahnsinn. Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache ist kontrollierter und kontrollierbarer. Sie wird wenig Gelegenheit haben, ihre ideologische Grundverfassung in aktuelle Politik umzumünzen", ist er überzeugt. Oder, wie der ehemalige Politiker, der mittlerweile literarisch und als Theaterdramatiker aktiv ist, in seinem neuen, mit feinen politischen Anspielungen gespickten Wachau-Krimi Dürnsteiner Würfelspiel schreibt: "Es weht eben ein neuer Wind."

Vielleicht nicht ganz neu, schränkt Görg ein, denn wenn ihn diesmal zwar nicht die Aussicht auf eine Koalition mit der FPÖ stört, so doch umso mehr "die Wollust, mit der sich die ÖVP mit der FPÖ ins Bett legt, die ihren Ausdruck schon am Wahlabend im Jubel gefunden hat, mit dem in der Parteizentrale das kurzzeitige Überholen der SPÖ durch die Freiheitlichen begrüßt wurde. In der Art: Jetzt wächst zusammen, was immer schon zusammengehört hat. Nein. Die ÖVP und die FPÖ gehören nicht zusammen." Weil? "Weil sie ein völlig unterschiedliches Menschenbild haben."

Passwort "Schließung der Mittelmeerroute"

Das war im Wahlkampf allerdings nicht immer so klar, räumt Görg ein: "Es schien, als wären die beiden kongruent, weil wir seit Herbst 2015 durch die Flüchtlingskrise überfordert waren. Die FPÖ war immer ausländerfeindlich, die ÖVP aus christlicher Tradition oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht." Aber Kurz habe erkannt, dass er mit diesem Thema die Wahl gewinnen könne. "Er war der erste ÖVPler, der ein emotionales Thema besetzt hat, das kann man ihm nicht vorwerfen. Das Passwort für den Wahlkampf war ,Schließung der Mittelmeerroute'." Trotzdem glaubt Görg, dass die ÖVP auch unter Kurz, "dann, wenn es gelingt, eine geordnete Flüchtlingspolitik zu betreiben, wieder zu ihrem Menschenbild zurückkehrt".

Dass Kurz in der ÖVP relevanter Widerstand gegen Türkis-Blau drohen könnte, glaubt Görg nicht. Eines der "Glücksmomente", die Kurz helfen würden, sei, dass viele der Landeshauptleute – immer eine potenzielle Gefahr für jeden ÖVP-Chef – neu im Amt seien und selbst erst ihren Weg finden und erfolgreich Wahlen schlagen müssten. "In der ÖVP sind sie dann besonders stark, wenn sie eine starke Landesorganisation hinter sich haben und über ein hohes persönliches Illoyalitätspotenzial verfügen", beschreibt Görg die Gefahrenskala. Da sehe er momentan für Kurz kein akutes Problem. Und die Bünde? "Deren Macht wurde immer überschätzt."

Was also wird kommen? "Auch diese Regierung wird einige wichtige Veränderungen in Richtung Reform bringen", glaubt Görg. Aber: "Zu glauben, Kurz könnte in einer Legislaturperiode die DNA der ÖVP und der Länder umprogrammieren, wäre naiv." (Lisa Nimmervoll, 11.12.2017)