Wissenschafter benötigen Publikationsorgane, um ihre Erkenntnisse der jeweiligen Community und der Allgemeinheit bekanntzumachen. Sie benötigen diese Medien auch, um auf der Arbeit ihrer Kollegen aufzubauen, so wie die Studierenden, die auf dieser Basis lernen und ihre Arbeiten verfassen, und die interessierte Öffentlichkeit. Wichtige Anforderungen an ein wissenschaftliches Publikationsmedium sind weiterhin die Registrierung, die Qualitätssicherung und die dauerhafte und sichere Archivierung.

Profitabel wie Facebook

In vielen Wissenschaftsdisziplinen ist das heute gängige Format zur Verbreitung aktueller Ergebnisse die Publikation eines Aufsatzes in einem wissenschaftlichen Journal. Angesichts der Tatsache, dass die Wissenschaft zum überwiegenden Teil aus Steuermitteln finanziert wird, die Wissenschafter als Editoren und Gutachter in Journalen die Erstellung und Qualitätssicherung der Artikel großteils kostenfrei übernehmen, und dass durch die Digitalisierung die Druckkosten wegfallen, wäre man geneigt anzunehmen, dass der Zugang zur wissenschaftlichen Artikeln kostengünstig ist und Wissenschaftsverlage wenig profitabel sind.

Weit gefehlt: Die Autoren treten in der Regel die Verwertungsrechte an den eingereichten Artikeln an privatwirtschaftliche internationale Wissenschaftsverlage ab, die den erstellten Content über die wissenschaftlichen Bibliotheken vermarkten. Je nach Fach werden 50 bis 80 Prozent der Journale von den fünf größten Verlagen herausgegeben, 42 Prozent aller Artikel werden in Zeitschriften von Reed Elsevier, Springer und Wiley publiziert, die Gewinnmarge von Reed Elsevier zum Beispiel beträgt 25 Prozent. Anstelle von Abonnements von Einzeltiteln bieten die Verlage heute den elektronischen Zugang zu einem Bündel an Zeitschriften an ("Big Deals"), durch die zwar der Preis pro Zeitschrift geringer ist, aber der Markteintritt für Konkurrenten erschwert wird.

Alternativ werden Open-Access-Lösungen angeboten, bei denen zwar die Nutzung kostenfrei ist, aber der Forscher bei der Einreichung oder Publikation zahlt, wobei die Preise zwischen 150 und 5000 Dollar pro Artikel liegen. Auch diese Kosten werden in der Regel von der öffentlichen Hand getragen. In Österreich werden pro Jahr circa 30 Millionen Euro für die Subskription von E- und Print-Journalen ausgegeben – Mittel, die für die eigentliche Forschungsförderung nicht zur Verfügung stehen.

Fünf große Verlage dominieren die wissenschaftliche Kommunikation.
Foto: Reuters/Francois Lenoir/File Photo

Anreizstruktur fördert Oligopolbildung

Wie konnte es zu einer derartigen Marktstruktur kommen? Die Karrierechancen eines Wissenschafters sind wesentlich durch die Reputation bestimmt, die mit der Publikation von Artikeln in Journalen einhergeht, die im eigenen Fach angesehen sind. Diese sogenannten Top-Journale werden auch vornehmlich gelesen, wodurch deren Artikel auch öfter zitiert werden. Zitate sind die Likes der Wissenschafter, sie und die Anzahl der Top-Journalartikel sind entscheidend bei der Besetzung von Stellen und dem Einwerben von Forschungsmitteln. Verdiente Autoren werden dann Editoren und Editors-in-Chief in Top-Journalen, und ein Nachwuchsforscher ist angehalten, in solchen zu publizieren. Da sich Reputation nur im Zeitverlauf bildet, und der Großteil der Top-Journale von den führenden Wissenschaftsverlagen herausgegeben wird, ist der Markteintritt für neue Anbieter schwierig. Konzentrationsfördernd waren auch die in den letzten Jahren erfolgten Übernahmen kleinerer Verlage durch die Marktführer.

Die Möglichkeit zur Ausnutzung dieser Situation für Preiserhöhungen wird durch die Rollenverteilung im System begünstigt: Die Forscher müssen Zugang zu den Top-Journalen haben und weisen daher die Universitätsbibliotheken an, diese zu beschaffen, ohne selbst die Kosten zu tragen. Die Bibliotheksbenutzer schließlich zahlen auch nicht für die in Anspruch genommenen Dienstleistungen. Sie sind an einem möglichst bequemen Zugang zu den Informationen interessiert, den die großen Verlage am besten bieten können. Diese sind gewinnorientiert, und da zwischen Journalen in verschiedenen Teilen einer Disziplin keine Substitutionseffekte bestehen, liegt ein "Winner takes it all"-Markt vor. In letzter Zeit regt sich aber Widerstand: Als Gegengewicht haben die wissenschaftlichen Bibliotheken Einkaufskartelle wie zum Beispiel "Bibliothekskonsortien in Österreich" oder "Projekt Deal" gebildet. Diese erhalten auch Untersützung durch Wissenschaftler, indem diese ihre Funktionen als Editoren zurücklegen beziehungsweise über die Rektorenkonferenzen Druck ausüben.

Fake-News in der Wissenschaft

Das derzeitige System ist nicht nur teuer, sondern auch mit Qualitätsproblemen behaftet. Da nur Artikel und Zitate in die Bewertung der Forschungsleistung eingehen, haben die Forscher keinen Anreiz, die der Forschung zugrundeliegenden Daten zu veröffentlichen, da dadurch die Möglichkeit verloren geht, damit exklusiv weitere Arbeiten zu publizieren. Dies widerspricht aber der Anforderung, dass wissenschaftliche Erkenntnisse allgemein abgesichertes Wissen darstellen und reproduzierbar sein sollen. Die "Publish or Perish"-Mentalität hat zu einer Reproduzierbarkeitskrise und Zunahme der Zurückziehung von Artikeln geführt. Ein damit verbundenes Phänomen ist das Entstehen von Zitationskartellen, bei denen sich Autoren abstimmen und sich gegenseitig in ihren Arbeiten zitieren.

Blockchains schaffen Transparenz und eine bessere Anreizstruktur.
Foto: Reuters/Benoit Tessier/Illustration

Auch die Dauer der Begutachtung ist zum Problem geworden, da mangels Anreiz die Erstellung von Gutachten geringere Priorität als die Forschungs- und Lehrtätigkeit hat. Es ist daher keine Seltenheit, dass Artikel erst zwei Jahre nach ihrer Einreichung erscheinen. Eine lange Begutachtungsdauer kann auch von einem Gutachter in Verletzung der Ethikregeln bewusst herbeigeführt werden, um die Publikation eines rivalisierenden Artikels zu verzögern, um der Erste zu sein, der ein bestimmtes Thema besetzt. Lediglich der zuständige Editor ist heute in der Lage dies zu erkennen und gegebenfalls zu ahnden.

Ein Peer-to-Peer-System für wissenschaftliches Publizieren

Die Blockchaintechnologie bietet eine Peer-to-Peer-Datenbank mit kontrollierbarer Transparenz und die Möglichkeit, mithilfe einer eigenen Währung das Anreizsystem zu gestalten. Damit bestehen auch neue Möglichkeiten zur Gestaltung der wissenschaftlichen Kommunikation und erste Konzepte für ein System zum Peer-to-Peer-Publizieren auf Blockchainbasis liegen vor – siehe dazu "Pluto" oder "Scienceroot".

Bei Verwendung einer Blockchain entfällt die Notwendigkeit eines koordinierenden Intermediärs und der auf Marktmacht beruhende Gewinnanteil kann in der Community verbleiben. Auch bestehen neue Lösungsansätze zur Qualitätssteigerung: Durch die Blockchain ist das Einreichdatum eines Beitrags für alle Parteien sichtbar und nicht mehr veränderbar. Auch können alle weiteren Schritte transparent gestaltet werden, wodurch unethisches Verhalten der Gutachter leichter entdeckt werden kann. Lösungen wie "Wingpaper" unterstützen durch Einsatz von künstlicher Intelligenz die Erschließung des Content und können zum Beispiel die Basis für eine automatisierte Gutachterbestellung, Erkennung von Zitationskartellen, oder Plagiaten bilden. Für die Archivierung kann zum Beispiel das Peer-to-Peer-Dateisystem "IPFS" herangezogen werden.

Kryptowährung für wissenschaftliches Publizieren

Mithilfe einer Kryptowährung können analog zum Bitcoin-System differenzierte Anreize für die verschiedenen Akteure gesetzt werden, die zu einem wünschenswerten Gleichgewichtszustand beim Verhalten führen sollen. Die Basis bildet dabei die Idee, dass die verschiedenen Akteure für ihren Beitrag von anderen im Peer-to-Peer Netzwerk belohnt werden:

  • Die Anzahl der Coins als Belohnung pro Artikel könnte neben einem fixen Betrag variable Anteile je nach Download- und Zitationshäufigkeit haben, wobei selbst Coins für verwendete Daten und Zitate abzugeben sind.
  • Die Anzahl der Coins pro zur Verfügung gestellten Datensatz könnte auch vom Erfolg der Artikel abhängen, die diesen verwenden.
  • Gutachten könnten veröffentlicht werden, wobei der Erlös eines Gutachtens auch vom Erfolg des betreffenden Artikels bestimmt werden könnte. Anonyme Reviews und offene Reviews durch die Community könnten kombiniert werden.
  • Das Stimmgewicht bei der Entscheidung, ob eine Arbeit angenommen wird oder nicht, könnte von der kumulativen Reputation eines Autors abhängen, gemessen anhand der Zitate und Downloads.
  • Bibliotheken könnten Coins für die Erschließung des Contents erhalten und – analog zu Bitcoin-Minern – für die zur Verfügungsstellung der Systemressourcen. Sie könnten auch für Verwaltungstätigkeiten entlohnt werden, wenn sie etwa ihre Forscher und Leser registrieren und diese mit der für die initiale Tätigkeit am System notwendige Geldmenge ausstatten.

Diese Regeln sind natürlich viel zu unspezifisch für ein konkretes Protokoll. Sie sind lediglich ein Beispiel für die Umsetzung in einem Peer-to-Peer-System. Auch fehlt die spieltheoretische Analyse, das heißt es ist nicht sichergestellt, dass es bei Anwendung dieser Regeln nicht zu unerwünschtem Verhalten kommt. Bei einem für jeden offenen Reviewsystem ist beispielsweise das Design eines manipulationsresistenten Tokens die größte Herausforderung und die Kryptoökonomie ist hier noch in einer frühen Trial-und-Error-Phase.

Die Krypto-Community wächst

Der Forschungsschwerpunkt Kryptoökonomie wird sich daher im Frühjahr 2018 gemeinsam mit der Initiative "Blockchain for Science" und anderen Forschungseinrichtungen im Rahmen eines Science-Blockathons mit diesen Fragen vertieft auseinander setzen. Gemeinsam mit der internationalen Scientific-Community im Bereich Kryptoökonomie sollen auch Publikationen bei einschlägigen Konferenzen über die Blockchain erstellt werden und in weiterer Folge ein Peer-to-Peer-Journal etabliert werden. Geht man davon aus, dass die wissenschaftliche Krypto-Community wächst und sich dort Peer-to-Peer-Publizieren als Standard etabliert, kann die zur Überwindung der Netzwerkeffekte notwendige kritische Masse entstehen und damit die Disruption des klassischen Wissenschaftsverlags eingeläutet werden.

Input aus der STANDARD-Community ist sehr willkommen. Da es sich bei dem geschilderten Anwendungsfall um eine Art Blaupause für die Transformation eines, durch einen zentralen Intermediär koordinierten Systems in ein durch eine Währung abgestimmtes Peer-to-Peer-System handelt, wäre es auch sehr interessant zu erfahren, in welchen anderen Bereichen ähnliche Überlegungen angestellt werden können. (Alfred Taudes, 14.12.2017)