Immer mehr Firmen lassen sich gegen Cyberkriminalität versichern. Das Risiko der Versicherer steigt.

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Wien – Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo ein gröberer Angriff auf ein Unternehmen versucht wird. Viel seltener wird so eine Attacke auch bekannt. Eingetretene Türen oder eingeschlagene Fenster – das war einmal. Die Angreifer, die auf Daten aus sind oder mit verschlüsselten Bits und Bytes Betriebe erpressen, sitzen meist zu Hause vor ihrem Computer.

"Es sind die näherkommenden Einschläge, die das Bewusstsein über die Gefahren im Netz auch in kleinen und mittelgroßen Unternehmen schärfen", sagte Timo Kob, Experte für Cybersecurity und Wirtschaftsschutz, dem STANDARD. Nun drängten immer mehr Versicherungen in dieses wachsende Segment. Anders als noch vor ein, zwei Jahren gebe es jetzt auch kundenseitig Interesse, sich gegen die Gefahren im Netz zu versichern.

"Wir sind erst seit kurzem auf dem Markt, nehmen aber schon ein steigendes Bewusstsein sowie steigende Nachfrage bei Kunden wahr", bestätigte der Sprecher der Allianz-Versicherung in Österreich, Manfred Rapolter. Seit September bietet der Versicherer erstmals für Firmenkunden eine Lösung im Bereich Cyber an. Diese beinhaltet neben einer Computerschaden-Versicherung eine technische und kommunikationstechnische Unterstützung im IT-Notfall, Cyber-Schutz im Zusammenhang mit Datenschutz- oder Vertraulichkeitsverletzungen sowie Cyberattacken und eine Vertrauensschadenversicherung.

"Total heißer Markt"

Seit Anfang November versichert die Allianz auch Privatpersonen gegen Cyber-Gefahren. Dabei geht es um Schutz bei Virenbefall, Erpressung, Rufschädigung sowie unberechtigte Abmahnung, Identitätsdiebstahl, E-Mail-Betrug, gefälschte Webseiten und Verlust persönlicher Daten. Auch Copyrightverletzungen sowie Beratung bei finanziellen Schäden sind Teil des Pakets.

"Das ist ein total heißer Markt momentan. Alle Versicherer wissen, sie müssen da rein", sagte Kob, der mit seinem Unternehmen HiSolutions von Berlin aus Behörden und Unternehmen in Sachen Cyberkriminalität berät. Laut Prognosen wird der Markt für Cyberversicherungen in zehn Jahren größer sein als der für Kfz.

Allein Österreich ist der Auto-Versicherungsmarkt 3,2 Milliarden Euro schwer. Der absehbare Rückgang bei der Kfz-Haftpflicht ist neuen Mobilitätstrends wie Carsharing und künftig wohl auch autonomem Fahren geschuldet.

Hohe Dunkelziffer

Als Nebeneffekt des verstärkten Engagements von Versicherungen im Cybersegment erwarten sich Experten wie Kob, dass mehr Licht in die bisher schlecht ausgeleuchtete Nische fällt. Einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom zufolge haben in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren 69 Prozent der Industrieunternehmen Erfahrungen mit Internetkriminalität gemacht. Sie waren von Datendiebstahl, Wirtschaftsspionage oder Sabotage betroffen.

Bitkom schätzt den Schaden allein für die deutsche Industrie auf rund 22,4 Milliarden Euro pro Jahr. Für die gesamte deutsche Wirtschaft wird der Schaden mit gut 50 Milliarden Euro angegeben, wobei die Dunkelziffer hoch ist. Viele Unternehmen scheuen sich aus unterschiedlichsten Gründen, Cyberangriffe anzuzeigen. "Dem BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, eine dem deutschen Innenminister unterstellte Bundesbehörde; Anm.) melden nur wenige ihre Vorfälle, der Versicherung wird man die wohl nennen", sagte Kob. "Alle hoffen, mithilfe der Versicherungen das Dunkelfeld wegzukriegen."

Risikomodelle ohne Daten

Kob, der in Österreich als Professor für Wirtschaftsschutz und Cybersecurity am FH Campus Wien tätig ist, möchte derzeit nicht in der Haut eines Versicherers stecken. "Versicherer können sehr gut aus der Vergangenheit hochrechnen, was in der Zukunft passiert. Bei Cyber können sie das nicht. Alle fahren Risikomodelle, ohne die nötigen Daten zu haben." Sollte eine Malware trotz Sicherheitsvorkehrungen erfolgreich platziert werden und viele Versicherte gleichzeitig treffen, besteht laut Kob die Gefahr "dass es auch größere Versicherer geben könnte, die das nicht überleben".

Zu den am stärksten gefährdeten Wirtschaftszweigen zählen neben der Autoindustrie Banken und Versicherungen. Kob weiß, wieso: "Ich erspare mir alle Hehler, überweise das Geld von A nach B und bin am Ziel."

Die Statistik liefert noch einen interessanten Befund: Bei den Tätern handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter, die aus Rache und/oder Geldgier das eigene Unternehmen attackieren. (Günther Strobl, 12.12.2017)