4. Februar 2000: Eine Massendemonstration auf dem Wiener Ballhausplatz richtet sich gegen die Angelobung der ersten schwarz-blauen Koalition. Die Regierungsmitglieder in spe weichen auf einen unterirdischen Gang aus, um zur Präsidentschaftskanzlei zu kommen. In der Folge gibt es tägliche, später wöchentliche Demos – die Donnerstagsdemos.

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Wien – Die türkis-blauen Koalitionsgespräche haben einen unerwarteten Nebeneffekt: Jeden Morgen ab acht Uhr findet sich beim Deserteursdenkmal auf dem Ballhausplatz eine Gruppe ein, um täglich eines anderen Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus zu gedenken. Bis die neue Regierung angelobt wird, will man hier stehen, "und wir freuen uns, wenn sich jemand zu uns gesellt", sagt ein Sprecher des KZ-Verbandes Wien zum STANDARD. Dabei war ursprünglich alles ganz anders geplant.

Demo am "Tag X"

30 Protestkundgebungen gegen eine Neuauflage einer ÖVP-FPÖ-Koalition waren bei der Polizei angemeldet worden, doch die Behörde wies die Anzeige ab. Sie sah die präventive Anmeldung von Kundgebungen mit der Absicht, im Fall einer Regierungsangelobung kurzfristig eine Demonstration auszurufen, als Missbrauch des Versammlungsrechts an. Also suchten die Antiregierungsbündnisse einen rechtskonformen Umweg – und fanden ihn in den morgendlichen Mahnwachen auf dem Ballhausplatz.

Die Absicht bleibt dieselbe: Am Tag der Regierungsangelobung, die Bündnisse nennen ihn den "Tag X", soll ein breiter Protest gegen die neue ÖVP-FPÖ-Koalition stattfinden. Fünf Startpunkte in Wien soll es geben, aus diversen Richtungen wolle man in Richtung Heldenplatz marschieren. Daran beteiligt sind neben der Hochschülerschaft auch die Offensive gegen rechts, Schülerorganisationen, Migrantenvereine, KZ-Verbände und die Plattform radikale Linke. Das Motto: "Ballhausplatzroute schließen".

Neue Demo-Regeln

Dass die Demo-Anmelder zu dem Mahnwachenkniff greifen mussten, hat mit der umstrittenen Verschärfung des Versammlungsrechts zu tun, die im April im Nationalrat beschlossen wurde und seit 1. Juli in Kraft ist. Sie sieht vor, dass Demonstrationen künftig nicht einfach einen Tag davor angemeldet werden können, sondern bereits 48 Stunden vor Beginn der Kundgebung. Das soll der Polizei mehr Vorbereitungszeit geben, für zivilgesellschaftliche Bündnisse wird es dadurch aber schwierig, auf spontane Anlässe zu reagieren. Zwar gebietet das Verfassungsrecht, dass eine Kundgebung grundsätzlich auch unangemeldet stattfinden darf, praktisch steht sie dann aber auf schwachen Beinen, sie kann leichter aufgelöst werden, und die Teilnehmer riskieren Strafen.

Die größten Probleme sehen NGOs aber in einer anderen Hürde des neuen Demo-Gesetzes: Ist an einem Ort bereits eine Kundgebung angemeldet, darf in 50 Metern Umkreis keine andere Versammlung stattfinden. Argumentiert wurde das mit Sicherheitsbedenken. Die Praxis zeigt aber, dass das Gesetz überschießend angewendet werden dürfte. Die Polizei habe in den vergangenen Monaten öfter Kundgebungen untersagt, die neben einer Versammlung mit einer ähnlichen politischen Stoßrichtung stattfand, sagt Alexander Pollak von SOS Mitmensch zum STANDARD. "Es wurde uns nicht die Möglichkeit gegeben, uns mit dem Veranstalter der anderen Kundgebung abzusprechen", sagt Pollak.

Ungestörte Burschenschafter

Die 50-Meter-Schutzzone verunmögliche auch den traditionellen Protest gegen den mittwochs stattfindenden Burschenschafterbummel an der Uni Wien, sagt Lena Köhler, Vorsitzende der ÖH Uni Wien. Da die Polizei die Gegendemo nur außerhalb des Unigeländes erlaube, sei es den Deutschnationalen nun möglich, auf der Unirampe ungestört Präsenz zu zeigen, kritisiert Köhler. Die ÖH hat gegen die Untersagung einer ihrer Gegendemos vor der Rampe Beschwerde erhoben und kündigt einen Gang zum Verfassungsgerichtshof an. (Maria Sterkl, 12.12.2017)