Dieser Flüchtling im Mittelmeer konnte noch gerettet werden. Dafür sollen laut Amnesty 50 Menschen am 6. November ertrunken sein.

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Wien – Europäische Regierungen haben sich nach Ansicht von Amnesty International bewusst mitschuldig daran gemacht, dass zehntausende Flüchtlinge in Libyen gefoltert und misshandelt werden. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation in einem am Dienstag präsentierten Bericht. Ziel der EU-Staaten sei es, so viele Menschen wie möglich daran zu hindern, das Mittelmeer zu überqueren.

Wer versuche, Fluchtrouten mit Gewalt zu schließen, trage menschenrechtliche Verantwortung für die grausamen und teils tödlichen Konsequenzen, sagte der Generalsekretär von Amnesty International Österreich, Heinz Patzelt. Amnesty fordere daher von den EU-Regierungschefs Lösungen, die die Menschenwürde der Betroffenen respektieren. "Folterlager und Sklavenmärkte müssen umgehend aufgelöst werden", so Patzelt.

Folter, Erpressung, Zwangsarbeit

Von der libyschen Küstenwache aufgegriffene Flüchtlinge landeten oft in Hafteinrichtungen in Libyen, kritisiert Amnesty. Derzeit befänden sich bis zu 20.000 Personen unter unzumutbaren hygienischen Umständen in solchen überbelegten Einrichtungen. Betroffene berichteten Amnesty, dass sie selbst schwere Menschenrechtsverstößen erlebt oder beobachtet hätten, etwa willkürliche Inhaftierung, Folter, Zwangsarbeit, Erpressung und rechtswidrige Tötung durch Behörden, Menschenhändler, bewaffnete Gruppen oder Milizen.

Zwar sei unklar, wie viele Mitarbeiter der libyschen Küstenwache mit Schleppern zusammenarbeiten. Es sei jedoch klar, dass die erhöhten Kapazitäten der Küstenwache – dank der Unterstützung der EU-Staaten – in den Jahren 2016 und 2017 vermehrt zu Einsätzen geführt hätten, bei denen Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht wurden. So seien 2017 bisher 19.452 Menschen von der libyschen Küstenwache aufgegriffen, nach Libyen zurückgebracht und dann umgehend in Einrichtungen inhaftiert worden, in denen Folter an der Tagesordnung stehe.

Italienisches Boot für Küstenwache

Zudem würden von Amnesty International gesichtete Videoaufnahmen, Bilder und Unterlagen darauf hindeuten, dass am 6. November ein von Italien im April zur Verfügung gestelltes Boot – die Ras Jadir – für einen Einsatz der libyschen Küstenwache verwendet wurde. Dabei seien Schätzungen zufolge etwa 50 Menschen ertrunken, als sie während der teils unsachgemäß durchgeführten Rettungsaktion ins Meer stürzten oder vom Schiff der Küstenwache zu fliehen versuchten.

"Die EU-Staaten finanzieren in Libyen mit von uns allen bezahlten Steuern Piraterie und Sklavenhandel. Das ist ungeheuerlich. Marodierende Mörderbanden und Sklavenhändler werden mit Schnellbooten und Überwachungstechnik ausgestattet. Die Deals und Erfolgskriterien, die europäische Politiker aushandeln, führen zu einem Brutalitätsniveau, das sogar Ertrunkene in Kauf nimmt. Das sind keine menschenrechtskonforme Lösungen", kritisierte Patzelt.

UNHCR sucht Plätze für Flüchtlinge

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat sucht unterdessen dringend Aufnahmeplätze für 1.300 Flüchtlinge, die in Libyen gestrandet sind. "Das ist ein verzweifelter Aufruf, Solidarität und Menschlichkeit zu zeigen", sagte der stellvertretende Hochkommissar Volker Türk. "Wir müssen einige der besonders bedürftigen Flüchtlinge so schnell wie möglich aus Libyen herausholen." Die Personen sollen bis spätestens Ende März umgesiedelt werden.

Das UNHCR hat bereits rund zwei Dutzend Personen, die aus solchen Lagern fliehen konnten, im Niger in Sicherheit gebracht. Die Menschen können aber nicht im Niger bleiben, weshalb das UNHCR Aufnahmeländer sucht. Es handle sich um Menschen etwa aus Syrien, dem Irak, Eritrea und dem Südsudan, die vor Verfolgung geflüchtet seien.

Wunsch an neue Regierung

Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, nahm den Abschluss des österreichischen Resettlement-Programms für Syrer am Montag zum Anlass, um Wünsche an die künftige Regierung zu richten. Es brauche rasch ein neues Programm, nachdem in den vergangenen vier Jahren "1.900 besonders vulnerable syrische Flüchtlinge auf sicherem Weg über Resettlement nach Österreich" gekommen seien. (APA, 12.12.2017)