Simon Loidl: "'Europa ist zu enge geworden' – Kolonialpropaganda in Österreich-Ungarn 1885-1918", Promedia, 232 Seiten, 25 Euro.

Cover: Promedia

Wien – Österreich-Ungarn war zwar keine klassische Kolonialmacht, das Bild der "Friedensmacht" ohne koloniale Ambitionen lässt sich aber längst nicht mehr aufrechterhalten. Die Rolle der Monarchie im "Wettlauf um Afrika" wurde bereits 2002 in einem von Walter Sauer herausgegeben Sammelband beleuchtet. Nun widmet sich der Historiker Simon Loidl der österreichisch-ungarischen Kolonialpropaganda.

Zwar ist laut Loidls Buch "'Europa ist zu enge geworden' – Kolonialpropaganda in Österreich-Ungarn 1885-1918" unbestritten, dass sich die ökonomischen und politischen Begehrlichkeiten der Monarchie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor allem auf Südosteuropa konzentrierten. Kolonialistische Diskurse über außereuropäische Gebiete hätten aber ebenso auf vielen Ebenen eine Rolle gespielt. "Exotisierende Bilder" seien permanent für die breite Öffentlichkeit "reproduziert" worden – man denke nur an die Wiener Weltausstellung von 1873. Die Vorstellungs- und Bilderwelten, die die Kolonialmächte produzierten, hätten vor den Grenzen Österreich-Ungarns nicht Halt gemacht.

Aktive Lobbyisten

In einem kleinen Kreis von Koloniallobbyisten habe zudem eine rege Debatte darüber stattgefunden, wie sich die Donaumonarchie am außereuropäischen Kolonialismus beteiligen könnte. Zentrales Forum dieser Lobbyisten sei die "Österreichisch-Ungarische Kolonialgesellschaft" gewesen. Loidl untersucht in seinem Buch die Schriften, die im Umfeld der Kolonialgesellschaft verfasst wurden, und kommt zu dem Schluss, dass die dort tätigen Autoren eine "imperialistische Avantgarde" gewesen seien.

Die Propagandisten hätten versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die Aufmerksamkeit der politischen und militärischen Entscheidungsträger auf andere Gebiete als Südosteuropa zu lenken. Diese "ideologischen Vorreiter" hätten dabei an "vorangegangene koloniale und protokoloniale Aktivitäten" (z.B. Forschungsexpeditionen, Missionstätigkeit) anknüpfen können und seien durchaus auf offene Ohren gestoßen. Es gebe Überschneidungen zwischen der "Kolonialgesellschaft" und k. u. k. Entscheidungsträgern, die aggressive expansionistische Konzepte vertreten hätten.

Die "kulturellen und ideologischen Reflexe" einer jahrhundertelangen europäischen kolonialistischen Tradition seien auch in einem Land ohne Kolonien stark präsent gewesen. Die österreichischen Koloniallobbyisten hätten diese Tendenzen aufgegriffen und zu verstärken versucht. Dass sie schließlich damit gescheitert seien, habe mit den "spezifischen (welt)politischen Konstellationen und nationalen Entwicklungen Österreich-Ungarns" zu tun. Zahlreiche Indizien würden jedenfalls darauf hindeuten, dass die Donaumonarchie stets an der Schwelle zu einer aktiven Teilnahme an der europäischen Kolonialbewegung gestanden habe, so Loidl. (APA, 29.12.2017)