Ein Schubhäftling steckt seinen Kopf aus dem Guckloch zu seiner Zelle. Diese Aufnahme aus dem Polizeianhaltezentrum Hernals gewann 2010 den Pressefotografiepreis Objektiv. Die seit 2015 zunehmend verschärfte Abschiebepraxis füllt die Schubhaftzellen von Neuem.

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Wien – Für den Fall einer ÖVP-FPÖ-Regierung haben die Koalitionsverhandler weitere Verschärfungen beim Umgang mit Asylwerbern angekündigt. Insbesondere sollen Abschiebungen forciert werden: ein Plan, der wohl noch mehr Härtefälle produzieren dürfte, als sie die Abschiebepraxis schon jetzt mitprägen, wie drei aktuelle Beispiele zeigen.

"Dass Asylsuchende nach Negativbescheiden Österreich verlassen müssen, ist klar", sagt Irmgard Rieger, Sprecherin der Grazer Caritas: "Nur in ganz dramatischen Situationen wenden wir uns an die Öffentlichkeit." So im Fall einer seit Ende 2016 in Österreich befindlichen schwer krebskranken Tschetschenin.

Aus Caritas-Wohnhaus abgeholt

Seit Juni habe die 55-Jährige, bei der bereits Knochenmetastasen festgestellt worden seien, im Franzisca-Wohnhaus gelebt, habe Chemotherapie an der Grazer Universitätsklinik erhalten. Am 13. November kam ihr asylrechtlicher Negativbescheid in zweiter Instanz: Die Rückschiebung nach Spanien laut Dublin-III-Verordnung, die jeweils den Ersteintrittsstaat einer Person in die EU für das Asylverfahren zuständig macht, war rechtens.

"Dienstag vor einer Woche hat die Polizei die Frau im Caritas-Wohnhaus abgeholt und nach Wien in die Schubhaft gebracht", schildert Rieger. Zu Wochenbeginn wurde die Tschetschenin nach Spanien gebracht, obwohl sie dort keine Verwandten oder Bekannten habe – während in Österreich zwei ihrer Schwestern lebten.

Appell nutzte nichts

Laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können auch Schwerkranke abgeschoben werden, wenn es im Zielstaat grundsätzlich Behandlungsmöglichkeit gibt. Der steirische Caritas-Direktor Herbert Beiglböck appellierte dennoch an die Behörden, das Asylverfahren der Frau in Österreich durchzuführen – ohne Erfolg. Aus dem Innenministerium kommt Schweigen: "Das Ministerium erteilt keine Auskunft zu einzelnen Verfahren", heißt es dort.

Ebenfalls in der Vorwoche wurde ein 29-jähriger Algerier nach Italien abgeschoben. Montags meldete er sich erstmals aus Sizilien bei seinen Wiener Unterstützern von Queer Base. Dort finden homo-, bi-, trans- und intersexuelle Flüchtlinge Hilfe.

In Libyen gefoltert

Aus seiner Heimat geflohen war der Mann, weil er als Schwuler innerhalb seiner Familie um sein Leben fürchtete. Er setzte sich nach Libyen ab, doch dort geriet er in ein Lager, wo man ihn vergewaltigte und folterte; in Wien musste er sich einer Operation wegen der Folgen der Misshandlungen unterziehen.

Auch psychisch sei der Mann, der im Februar 2017 nach Österreich kam, schwer angeschlagen, sagt Queer-Base-Mitarbeiterin Marty Huber. Nach dem rechtskräftigen Dublin-Bescheid habe der Algerier sich alle 48 Stunden bei der Polizei melden müssen. Das habe bei ihm Panikattacken ausgelöst. Immer öfter habe er von Suizid gesprochen. Mit seinem Einverständnis sei er in eine psychiatrische Klinik gekommen: "Er war sechs Wochen dort und hat mehrmals versucht sich zu töten", sagt Huber.

Nach Italien gebracht

In Fällen wie diesen sei Österreich menschenrechtlich verpflichtet, in das Asylverfahren einzutreten – zumal der Algerier seinen Bruder in Italien vermute, mit dem Auftrag, ihn zu töten –, argumentiert Huber. Die heimischen Behörden sehen es anders, am vergangenen Mittwoch setzten sie den Mann in der Flieger.

An der Rechtmäßigkeit dieses Abtransports hat Huber Zweifel. Er habe nach Ablauf der dafür vorgesehenen Maximalfrist von sechs Monaten stattgefunden. Mit dem Argument, der Mann sei zum Zeitpunkt des Fristablaufs inhaftiert gewesen, sei der Zeitrahmen auf zwölf Monate verlängert worden. "Doch", so Huber, "er ist unbescholten. Als die Frist verstrich, befand er sich im Spital."

Overall aus Zellulose, um Suizid zu verhüten

Zum letzten Mal hat sie ihren Schützling am Dienstag vor eine Woche in der Schubhaft gesehen: "Sie hatten ihm das eigene Gewand weggenommen. Dafür trug er einen Overall aus papierähnlicher Zellulose. So wollten sie einen weiteren Suizidversuch verhindern", schildert die Beraterin. Im Innenministerium bestätigt ein Sprecher, dass derlei Einkleidung "im Rahmen der Suizidprävention eine mögliche Option" sei.

Folgen zeitigt derzeit aber auch die seit November verschärfte Rückführungs-Gesetzeslage. Ihr zufolge sollen Ausländer mit rechtskräftigem Ausreisebescheid stufenweise zunehmenden Druck erleben, um das Land zu verlassen. Am 29. November traf dies die 43-jährige Georgierin Marina Moisieva und ihren 17-jährigen Sohn, die seit sechseinhalb Jahren in Österreich sind.

Erhöhter Betreuungsbedarf

Die Frau, von Beruf Pianistin, ist schon lange in psychiatrischer Behandlung. Bisher lebte sie in einer Einrichtung für Menschen mit erhöhtem Betreuungsbedarf in Wien. Ihr jüngerer Sohn besucht in der Bundeshauptstadt erfolgreich ein Gymnasium. Der ältere studiert hier ganz legal Medizin.

Nach der Ablehnung der Asylanträge sollten beide bereits 2015 abgeschoben werden. Appelle und eine Petition von Freunden und Unterstützern ermöglichten damals, dass Frau Moisieva und ihr Sohn einen Antrag auf humanitären Aufenthalt stellen konnten.

Drei Tage Übersiedlungsfrist

Nun trägt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Georgiern auf, "binnen drei Tagen bis zu ihrer Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungsstelle Tirol in Fieberbrunn zu nehmen". Nur noch dort haben sie Anrecht auf Versorgung.

Die Wohnsitzauflage wird mit "beharrlichem illegalem Verbleib" Moisievas in Österreich begründet. Ihr liegt eine vor Jahren getroffene Rückkehrentscheidung zugrunde. In Wien-Simmering kann das Anna Kampl, Pfarrerin der evangelischen Glaubenskirche, nicht verstehen: Über den humanitären Bleiberechtsantrag der beiden Georgier sei bisher nicht entschieden worden. (Irene Brickner, 15.12.2017)