Lautsprecherdurchsage der Wiener Linien: Wegen Demonstrationen komme es zu Ausfällen und Verzögerungen, "das Störungsende ist derzeit nicht absehbar". Der Spruch sorgt auf Twitter für Belustigung: von wegen "nicht absehbar", heißt es hier – mit fünf Jahren werde man schon rechnen müssen.

Am Montagmorgen liegt der Fokus aber erst einmal auf der Jetztzeit. An fünf Orten in Wien versammeln sich seit acht Uhr Demonstranten unterschiedlicher Lager, um von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus dasselbe Ziel anzusteuern: den Heldenplatz, um dort ein Zeichen gegen die Beteiligung einer Rechtsaußenpartei in der Bundesregierung zu setzen.

Video von den Demonstrationen.
DER STANDARD

Am Karlsplatz, wo die Wiener Antifa zur Demo aufgerufen hat, sind auch Vertreter der Hochschülerschaft und einige Grünen-Politiker versammelt. Einigen steht die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Er wolle um diese Uhrzeit eigentlich noch keine Interviews geben, meint Ex-Grünen-Abgeordneter Karl Öllinger, tut es dann aber doch. Und kommt schnell auf Touren.

Das Arbeitsprogramm dieser Koalition, so Öllinger, "übertrifft eigentlich alles, was ich mir vorgestellt habe. Wie mit den Arbeitslosen umgegangen wird, was mit den Studierenden, den arbeitenden Menschen passiert, der Zwölfstundentag – das ist wirklich schlimm." Deshalb sei er heute hier, wenngleich er eigentlich schon längst "bei der Vereinspolizei stehen wollte", um den Rechtsextremismus-Watchblog "stoppdierechten.at", der früher vom Grünen Parlamentsklub finanziert wurde und derzeit offline ist, jetzt als spendenfinanziertes Vereinsprojekt zu registrieren und wieder online zu stellen. "Die Themen werden uns nicht ausgehen", meint Öllinger, denn der neue Innenminister Herbert Kickl werde wohl kein Auge auf die rechtsextreme Szene haben – "schließlich tritt er dort ja selber als Redner auf".

Ex-Grünen-Abgeordneter Karl Öllinger zu Türkis-Blau: "Das ist übel."
DER STANDARD

Am Schottentor, wo die Plattform Offensive gegen rechts zur Demo aufrief, zeigt sich ein deutsches Touristenehepaar angesichts der vielen jungen Menschen auf der gesperrten Ringstraße realistisch: "Mit Sightseeing in der Hofburg wird das heute wohl nichts mehr." Schnell wurden die Besucher über den Status quo aufgeklärt, über das Platzverbot im Regierungsviertel, über den Grund der Demonstration gegen Türkis-Blau. Die Antwort fällt schnell aus: "Wir würden auch keine Rechten in der Regierung haben wollen", sagt sie. Und: "Wir marschieren mit. Gut, dass das noch möglich ist."

Um 9.20 Uhr setzt sich der Zug mit rund 1.000 Teilnehmern langsam in Bewegung, unentwegt werden Parolen skandiert. "Fairness und Gerechtigkeit? Schwarz-Blau ist Faschismus light!" steht zudem auf einem Transparent geschrieben. "FPÖ vertreiben. Flüchtlinge bleiben", wird auf einem anderen Plakat gereimt.

Vorneweg marschieren nur rund 20 Polizisten, die die Veranstaltung absichern. Sie tragen Haube statt Helm, die Stimmung ist entspannt, der Demozug passiert das Burgtheater, das Parlament. Der Himmel ist blitzblau, Sonnenstrahlen lassen einige Demoteilnehmer mit geschlossenen Augen kurz innehalten.

Vom schönen Wetter lässt sich Monika Salzer aber nicht überrumpeln. Omas gegen rechts heißt die Initiative, die die evangelische Pfarrerin in Ruhestand vor vier Wochen gegründet hat. Bei der Demo sind drei Handvoll Mitstreiterinnen in Wollhauben mit "Omas gegen rechts"-Buttons dabei, sie singen einstudierte Lieder. Mittlerweile hat die Facebook-Gruppe um Salzer, die vor Jahren auch bei der ORF-Show "Dancing Stars" mitgetanzt hat, mehr als 100 Mitglieder. "Wir marschieren mit, für unsere Töchter, Söhne und Enkelkinder", sagt Salzer. "Wir werden uns weiterhin einmischen, Nichtstun ist keine Option."

Omas gegen rechts heißt die Initiative, die die evangelische Pfarrerin in Ruhestand vor vier Wochen gegründet hat.
Foto: sterkl

Auf dem Platz der Menschenrechte bei der Mariahilfer Straße wird indes in einem kleinen Christbaumwald Verstecken gespielt. Hier versammeln sich die Studierenden unter der Führung der Hochschülerschaft. Hinter dem meterlangen Fronttransparent mit dem Slogan "Mit uns keine Uni ohne uns" finden sich die Demonstranten ein, die Stimmung ist heiter. Neben dem kleinen Christbaumwäldchen rollen Studierende der Medizinuni in weißen Ärztekitteln gekleidet ihr Transparent aus. "Wenn ihr so weitermacht, wandern wir erst recht aus", ist darauf zu lesen. Eine Anspielung auf die Wiedereinführung der Studiengebühren mit anschließendem Steuerbonus, der vor allem Ärzte in Österreich halten soll. "Deshalb wird niemand hierbleiben. In Deutschland sind die Bedingungen für junge Ärzte viel besser", sagt ein Student.

Auf dem Platz der Menschenrechte versammelten sich Studierende unter der Führung der Hochschülerschaft.
Foto: Christian Fischer

Gleich ums Eck üben sich einige Demonstranten unter dem Motto "Auftanzen statt Aufgeben" im Ballett. Eine junge Frau mit blauer Pagenkopfperücke und bunter Farbe im Gesicht hebt die Arme wie ein Vogel und streckt das Bein in die Luft. Warum die Maskerade? "Weil es schön ist." Warum sie hier ist? Weil sie "gegen den drohenden Sozialabbau" auftreten will.

Der Bildungsdemozug setzt sich in Bewegung: "Aber langsam, wir haben keinen Stress", sagt ein junger Mann in gelber Warnweste. "Wir sind hier, und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut", brüllt er in sein Megafon. "Zu Recht", lautet die Antwort von ein paar älteren Schaulustigen, die die Demo mit tausenden Teilnehmern dabei beobachten, wie sie an den Museen vorbeizieht. Die Polizei geht weißbehelmt, aber entspannt voraus. Hoch über ihren Köpfen kreisen Hubschrauber.

Im Märzpark bei der Stadthalle unterhalten sich derweil Polizisten und Radfahrer über warme Unterwäsche. Zum Aufwärmen haben schon die ersten Fahrer des Fahrraddemoblocks extra Punkmusik mitgebracht. Der Märzpark ist als Treffpunkt nicht zufällig gewählt, die kleine Parkanlage nahe dem Gürtel ist den Toten der Märzrevolution von 1848 gewidmet. Damals ging es gegen die Monarchie, heute lautet die Protestnote: "Die Möglichkeit der Beteiligung der FPÖ an der Regierung ist Ausdruck der Normalisierung des Rechtsextremismus." Dagegen wird zuerst angeklingelt und dann in die Pedale getreten, rund 150 Radfahrer gleiten die Burggasse runter zum Ring und dann scharf rechts zum Heldenplatz, dem Zielort aller Demonstrationen.

Am Ring wird auch auf Rädern protestiert.
Foto: APA/Pfarrhofer

Hier treffen die fünf Demozüge aufeinander, es wird getanzt, getrommelt, Schlüssel werden geschwenkt. Um Punkt elf Uhr, zur Zeit der Regierungsangelobung, schallt quer über den Heldenplatz ein lauter Chor aus Buhrufen in Richtung Präsidentschaftskanzlei. Die Polizei wird später offiziell von 5.500 Teilnehmern berichten, die ÖH spricht von rund 10.000.

Blick auf den Heldenplatz.
Foto: apa/privat

Die Exekutive ist laut eigenen Angaben mit 1.500 Mann und Frau vor Ort. Ein paar Böller werden geworfen, ein paar Rauchfackeln, Tomaten und Mandarinen fliegen in Richtung Polizei. "Nach vermehrtem Bewurf mit pyrotechnischen Gegenständen erfolgt vor Ort die Aufforderung, dies einzustellen", schreibt die Polizei auf Twitter. Einige Demonstranten verbrennen Demoschilder am Platz, sie werden von Beamten der Spezialeinheit Wega umgehend wieder gelöscht. Demoteilnehmer posieren vor den zwei Wasserwerfern der Polizei und machen Selfies. Gröbere Zwischenfälle gibt es vorerst nicht.

Im Jahr 2000 musste die erste Auflage von Schwarz-Blau mit Kanzler Schüssel und der Haider-FPÖ wegen rund 5.000 Demonstranten noch durch einen unterirdischen Tunnel zur Angelobung schreiten. Das war diesmal aufgrund des großräumigen behördlichen Platzverbots um Ballhausplatz, Hofburg und Minoritenplatz nicht nötig. Einige der Teilnehmer waren bereits damals dabei. Statt "Kein Schlüssel für Schüssel" soll es diesmal keinen für Kurz geben. Mit Schlüsseln wird in der Luft gescheppert. Auch Anti-Schwarz-Blau-Buttons sind hier wieder in Mode. "Ich habe ihn aufbehalten, obwohl ich gehofft habe, ihn nie wieder tragen zu müssen", sagt eine ältere Dame.

Die Demonstranten zeigen sich zuversichtlich: "Das hier ist nicht das Ende, es ist der verdammte Anfang", sagt eine Rednerin bei der Abschlusskundgebung am Heldenplatz auf einem Wagen.

Sie wird recht behalten. Um 12 Uhr zieht eine Spontandemo vom Burgtor los. Der Ring wird erneut gesperrt. Ein verwirrter Autofahrer mit Salzburger Kennzeichen gerät zwischen Polizei und Protestierende. "Wir haben hier eine Großdemo, Sie können hier nicht fahren", schreit ein Polizist durch das geöffnete Fenster und versucht den Fahrer vom Ring zu bekommen. Besonders weit kommt die Demo nicht, sie wird eingekesselt, schon zwischen Rathaus und Parlament gibt es Festnahmen – zwei wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, wie eine Sprecherin der Polizei sagt, die dritte wegen eines Verstoßes gegen das Verwaltungsstrafrecht. Auch die Rechtshilfe Wien spricht von drei Festgenommenen. Eine kleine Demo vor dem Polizeianhaltegefängnis Hernalser Gürtel war Montagnachmittag noch im Gange, ebenso eine feministische Kundgebung am Heldenplatz, für die sich auch Kulturprominenz wie Schauspielerin Erni Mangold und Schriftstellerin Stefanie Sargnagel angekündigt hatten. (Videos: Ayham Youssef, Michael Luger | Text: Oona Kroisleitner, David Krutzler, Michael Simoner, Maria Sterkl, 18.12.2017)