Cyril Ramaphosa ist neuer Chef der ANC.

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Sie nennen ihn den "Nearly Man", den Mann, der seine Ziele "beinahe" zu erreichen pflegt. Seinen Jugendtraum, einmal Präsident seiner südafrikanischen Heimat zu werden, hätte Cyril Ramaphosa beinahe schon nach der Präsidentschaft Nelson Mandelas erreicht: Der erste dunkelhäutige Staatschef am Kap der Guten Hoffnung soll sich Ramaphosa als Thronfolger gewünscht haben. Damals wurde der blitzgescheite Verhandlungsprofi von seiner eigenen Partei, dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC), verhindert. Zwanzig Jahre später ist aus dem "Nearly Man" endgültig ein Mann geworden – der sowohl an der Spitze seiner Partei wie bald auch des Staates stehen wird.

Verheerender Regierungsstil

Sein Griff nach der Macht wäre beinahe wieder gescheitert – der Sieg, gestern, Montag, fiel so knapp wie kein anderer in der 106-jährigen ANC-Geschichte aus. Obwohl der bisherige Vizepräsident seit Monaten von der noch immer weiß dominierten Wirtschaft, der städtischen Bevölkerung sowie der Presse zum einzig denkbaren Retter des heruntergewirtschafteten Landes hochgelobt worden war, stellte sich fast die Hälfte der etwa 4800 ANC-Delegierten hinter seine Konkurrentin Nkosazana Dlamini-Zuma, die den verheerenden Regierungsstil ihres geschiedenen Ehemannes fortsetzen wollte.

Einen erfahreneren als den 65-jährigen "Comrade" Ramaphosa hat die tiefgespaltene einstige Befreiungsbewegung ANC nicht. Der ausgebildete Jurist war am Aufbau der Gewerkschaften im Apartheidstaat beteiligt und stand an der Spitze der Minengewerkschaft NUM. Nach der Freilassung Nelson Mandelas wurde er zum Chefunterhändler der Verhandlungen mit der weißen Minderheitsregierung, und nachdem er diese zu einem erfolgreichen Ende gebracht hatte, schrieb er als ANC-Generalsekretär an der neuen Verfassung mit.

Als er von seiner Partei nicht zum Nachfolger Mandelas gekrönt worden war, zog er sich schmollend in die Privatwirtschaft zurück, wo er von der weißen Geschäftswelt zum schwarzen Vorzeigeunternehmer ausstaffiert wurde. Mit einem Vermögen von mehr als 400 Millionen Euro zählt er heute zu den wohlhabendsten Südafrikanern.

Die Kenntnisse, die sich Ramaphosa im Verlauf seiner Multikarriere anzueignen wusste, sind nicht nur im ANC beispiellos: Kein anderer Südafrikaner verfügt über dermaßen vielfältige Erfahrungen in Regierungsgeschäften, in der Wirtschaftswelt und bei der Interessenvertretung der Arbeiterschaft. Teile seiner Jugend hatte er außerdem in der abgelegenen Venda-Provinz, der Heimat seiner Vorfahren, verbracht.

Als Jusstudent begeisterte sich Ramaphosa fürs Verfassungsrecht, schreibt sein Biograf Anthony Butler: Eine Leidenschaft, die ihm als Verfechter der Rechte der Minenarbeiter zugutekommen sollte. Am Verhandlungstisch habe er "Druck, Charme und Humor eingesetzt", schwärmen seine einstigen Gegenüber. Dass die Gespräche mit der weißen Minderheitsregierung trotz immer wieder unüberwindbar scheinender Hürden schließlich zu einem erfolgreichen Ende kamen, wird ebenfalls vor allem dem jovialen aber prinzipienfesten Unterhändler zugeschrieben. Ramaphosa setzte sich später als Vizepräsident erfolgreich für ein Mindesteinkommen ein. Heute steht selbst die mit dem ANC verschwisterte Kommunistische Partei geschlossen hinter dem Millionär, der seinen Reichtum unter anderem mit dem südafrikanischen McDonald's-Franchise machte. Selbst die Tatsache, dass Ramaphosa als Stellvertreter Zumas den Machenschaften des skandalgebeutelten Regierungschefs jahrelang tatenlos zusah, nimmt ihm inzwischen keiner mehr übel.

Nun übernimmt Ramaphosa eine tiefgespaltene Partei, die von Patronage-Netzwerken korrumpiert und ohne Vision ist: Um den ANC zukunftsfähig zu machen, müsste er die Organisation zuallererst vereinigen und auf eine gemeinsame politische Vision einschwören – eine Aufgabe, die sich selbst für den geeignetsten "Comrade" der Partei als schwierig erweisen könnte. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 18.12.2017)