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Diplomatisch korrekt verpackt mahnte Kardinal Christoph Schönborn am Tag der Regierungsangelobung die Beachtung des Gemeinwohls ein, die zum Maßstab der künftigen Regierung werden sollte. Dabei dürfe es nicht nur um das eigene Gemeinwohl gehen, sondern die nationalen Interessen dürften nicht gegen die international wichtigen Anliegen ausgespielt werden. Es brauche, so der Kardinal, "die Sorge um die Umwelt, eine weltweite gerechte Verteilung der Güter oder auch den Frieden zwischen den Völkern".

So schön, so gut. Konkreteres erfährt man allerdings nicht. Die eigenen kirchlichen Optionen werden weder auf die Vorschläge im Regierungsprogramm noch auf die Zusammensetzung der neuen Regierung angewendet. Kritik wird nicht laut. Am Tag der Regierungsbildung lautet die Vorgabe vom höchsten kirchlichen Vertreter in Österreich: nicht Opposition, sondern Kooperation.

Kirche streut Blumen

Positive Bewertungen zu einzelnen Themenbereichen vermitteln das Bild, dass die Kirche und ihre Einrichtungen zufrieden mit dem türkis-blauen Anfang sind. Dem neuen Bildungsminister werden vonseiten der kirchlichen Hochschulen Blumen gestreut. Im türkis-blauen Bildungsprogramm ausdrücklich gelobt wird die verpflichtende Einführung des Ethikunterrichts, die zugleich eine Garantie für die Fortführung des konfessionellen Religionsunterrichts darstelle. Auch die Abkehr von Ideen einer Gesamtschule sehen kirchliche Vertreter durchaus positiv. Großes Lob kommt auch vom Österreichischen Cartellverband (ÖCV), der beispielsweise die geplante Einführung von Studiengebühren deutlich begrüßt.

Im entwicklungspolitischen Bereich sieht der Geschäftsführer der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO), Heinz Hödl, im türkis-blauen Programm den Willen, alle internationalen Verträge zum Klimaschutz umzusetzen und dass die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beachtet werden.

Vereinzelt kritische Stimmen finden sich kirchlicherseits fast ausschließlich in der Frage von Asyl und Migration. Da atme, so der Integrationsbeauftragte der Diözese Steiermark, das neue Regierungsprogramm mehr den Geist der Abwehr statt den Geist der Integration. Auch die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreichs nennt nur diesen einen Punkt als kritisch, wogegen sie eine Fülle an positiven Aspekten im neuen Regierungsprogramm ausmacht.

Caritas-Kritiker der FPÖ

Summa summarum erscheint es nun, als hätten Vertreterinnen und Vertreter der katholischen Kirche allesamt ihren Frieden mit jenen Männern aus der FPÖ geschlossen, die in den vergangenen Jahren wiederholt und ausdrücklich kirchliches Engagement – etwa im Bereich der Caritas – kritisiert hatten. Da findet sich keine demokratiepolitische Warnung, dass die Sicherheitsressorts nun in freiheitlicher Hand sind. Keine Koalition mit rechtsextremen Kräften, das ist keine kirchliche Diktion. Zumindest im sozialpolitischen Feld müssten nun aber Warnrufe kommen, wenn die Katholische Soziallehre Maßstab wäre. Sie bleiben vorerst aus, auch wenn der Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutz zugunsten von neoliberaler Wirtschaftspolitik gelockert wird. Zwölfstundentag und 60-Stunden-Arbeitswoche lassen grüßen. Die geplante Kürzung der Mindestsicherung muss genannt werden, wenn die Kirche zu Recht von der Option für die Armen spricht.

Wenn die Maßstäbe der päpstlichen Enzyklika "Laudato si" auf den türkis-blauen Regierungsanfang gelegt werden, dann gäbe es auch im Konkreten viel Kritisches zu bemerken, etwa die Zusage, dass der Flugverkehr erleichtert statt eingebremst wird, beispielsweise durch den Ausbau der dritten Piste in Schwechat. Eine ökosoziale Umweltpolitik beziehungsweise ressourcenorienierte Steuerpolitik sind nicht vorgesehen. Wie solidarisch ist die Kirche mit den transitgeplagten Menschen, wenn sie nicht klar gegen die Aufhebung der Lkw-Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h in der Nacht auftritt? Der Lkw-Verkehr wird aber weiter steigen, denn nirgendwo ist von einer Abschaffung des Dieselprivilegs oder der notwendigen Erhöhung der viel zu günstigen Maut zu lesen.

Weihnachtliche Friedensbotschaft

Die geplante Erhöhung des Militärbudgets und die Ausweitung der Aufgabengebiete für das Militär – von Flüchtlingsabwehr bis zu Auslandseinsätzen – sollten im Zentrum einer kritischen Rückmeldung stehen, wenn die weihnachtliche Friedensbotschaft in politisches Denken und Reden übersetzt würde.

Die Expertise der Kirche im Bildungsbereich könnte eigentlich dazu führen, dass nicht eine Retro-Pädagogik gutgeheißen wird, die von einer Einführung der Ziffernnnoten im Volksschulbereich bis zur Aufrechterhaltung eines Systems reicht, das Zehn- bis 14-Jährige bereits in eine Differenzierung zwingt, die zur Selektion in vieler Hinsicht führt. Ist der Familienbegriff der rechtskonservativen türkis-blauen Regierung wirklich katholisch, wenn er darunter tendenziell fast ausschließlich eine Frau-Mann-Kind-Konstellation vorsieht?

Wo steht die Kirche?

Würden all diese Punkte betrachtet, müsste die Kirche eher auf der Seite des zivilgesellschaftlichen Protests gegen Türkis-Blau stehen als auf der Seite jener, die positiv-wohlwollend nicken und sich optimistisch denken: Nun lassen wir sie arbeiten. Wenn die Kirche ihren Grundsätzen verpflichtet bleibt, wird es in den kommenden Jahren wohl viel kritischen Widerstandsgeist brauchen. Darin liegt die Freiheit der Kirche, dass sie nicht willfährige Dienerin der Regierung ist. Auch der kirchlich-katholische Widerspruch kann am Tag eins der neuen Regierung beginnen. (Klaus Heidegger, 22.12.2017)