Computermodell der verwendeten Guillotine.

Foto: Lukas Waltenberger

Versuchsaufbau des Experiments.

Foto: Lukas Waltenberger

Messerkerben auf verbrannten Rippen.

Foto: Lukas Waltenberger

Mikroskopische Aufnahme einer Messerkerbe auf einer Rippe.

Foto: Lukas Waltenberger

Mikro-CT-Aufnahme einer Messerkerbe im Querschnitt.

Foto: Lukas Waltenberger

Anthropologen sind anhand von menschlichen Skeletten in der Lage, etwas über die verstorbenen Personen und deren Lebensumstände in lang vergangenen Zeiten herauszufinden. Dafür wird in der Regel ein biologisches Profil des Verstorbenen erstellt und Alter, Geschlecht, Krankheiten und Verletzungen am Skelett untersucht. Schwierig wird es, wenn am Skelett Verletzungen erkennbar sind, die möglicherweise die Todesursache waren.

Das Problem dabei ist, dass bei solchen Verletzungen immer eine Vielzahl von Spuren nur am Weichteilgewebe sichtbar sind, dieses aber bei Knochenfunden natürlich schon verwest ist. In der Regel kann man auch niemanden mehr fragen, ob die Interpretation der Todesursache richtig oder falsch ist. Nehmen wir zum Beispiel einen gebrochenen Armknochen. Dafür kommen zwei Ursachen infrage: ein Unfall ohne Fremdeinwirkung (zum Beispiel Sturz) oder mit Fremdeinwirkung (Angriffsabwehr).

Es ist also unumgänglich, dass sich der Anthropologe auch mit modernen Kriminalfällen beschäftigt, um im Detail Verletzungsmuster zu studieren. In verschiedenen Fällen kann man auch auf Tiermodelle zurückgreifen und an Tierknochen Experimente durchführen, um Verletzungsursachen zu bestätigen oder zu verwerfen.

Forensische Anthropologie in Österreich

Im Gegensatz zum amerikanischen und britischen Raum gibt es das Berufsfeld des forensischen Anthropologen in Österreich so nicht. Hier fällt diese Sparte in die Gerichtsmedizin. Erst in den letzten Jahren gewann die forensische Anthropologie auch in Österreich an Interesse, nicht zuletzt wegen populärer Fernsehserien wie "Bones – Die Knochenjägerin". Auch wenn es in Österreich kaum Kriminalfälle gibt, die eines forensischen Anthropologen bedürfen, gewinnt die Forschung in diesem Fachbereich an Bedeutung. Meist geht es dabei aber nicht um Mordfälle, sondern zum Beispiel um Knochenfunde, bei denen geklärt werden muss, ob diese von einem Tier oder einem Menschen stammen.

Der Erfahrungsschatz eines forensischen Anthropologen wird in der Archäologie zurate gezogen, um forensische Methoden am archäologischen Material anzuwenden.

(Tat-)Werkzeug Messer

Als forensischer Anthropologe habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit Messerschnitten beschäftigt. Jedes Mal, wenn die Messerschneide auf einem Knochen auftrifft, entsteht ein sogenanntes "Cutmark", eine Messerkerbe. Obwohl so ein Cutmark nur wenige Millimeter groß ist, kann man daraus viele Informationen ablesen. Zum Beispiel lässt sich erkennen, welche Messerart verwendet wurde, wie das Messer geschliffen war, ob es eine glatte oder eine Sägezahnschneide hatte oder ob es stumpf war und aus welcher Richtung der Schnitt kam. In Einzelfällen kann man sogar eine Messerkerbe einem bestimmten Messer zuweisen.

Messerschnitte liefern deswegen wichtige Informationen und sind daher einer der wichtigsten Nachweise für Gewalteinwirkungen. Aber nicht nur menschliche Knochen sind von Messerschnitten betroffen. Jedes Tier, das geschlachtet wird, wird in der Folge mit Messern zerteilt und liefert daher wichtige Nachweise in der Archäologie zum Fleischkonsum.

Verbrannte Knochen

Besonders schwierig wird es, wenn der Tote verbrannt wurde. In der Geschichte wurden in vielen Epochen und Kulturen die Toten kremiert und die Überreste in Urnen oder direkt in der Erde bestattet. Aber auch in Kriminalfällen wurden Opfer verbrannt, um Beweismaterial zu eliminieren. Nun verbrennt aber ein Knochen nicht einfach so zu Asche: Selbst in modernen Krematorien bleiben ausreichend große Knochenfragmente übrig, um noch ein vollständiges biologisches Profil einer Person erstellen zu können. Diese Knochenstückchen werden normalerweise in einer Knochenmühle zermahlen, bevor sie in die Urne kommen. Das passiert bei archäologischen Kremationen in der Regel nicht, weshalb es trotzdem noch möglich ist, einiges über die verbrannten Personen auszusagen.

Schwierig wird es, wenn auf verbrannten Knochen Beweise für eine Messerverletzung auffindbar sind: Beim Verbrennen von Knochen verdampft nämlich alle Flüssigkeit, und der organische Knochenanteil verbrennt. Dabei schrumpft der Knochen um bis zu zehn Prozent und verändert seine Farbe von Braun über Schwarz-Verkohlt zu Bläulich-Grau und schließlich Kreideweiß, und der Knochen bricht in kleine Stücke.

Genau dieses Knochenschrumpfen beim Verbrennen macht eine Interpretation von Cutmarks problematisch. Deshalb gilt es herauszufinden, ob sich die Messerkerbe proportional zum Schrumpfungsprozess des Knochens verändert.

Ein Experiment mit Schweinerippen

Um herauszufinden, wie sich Messerkerben durch die Hitze verändern, besorgte ich mir ein paar Schweinerippen beim Fleischhauer und konstruierte ein Gerät, das wie eine Guillotine funktioniert: In einen Schlitten konnte ich verschiedene Messer einspannen. Der Schlitten bewegt sich mit dem Messer nach unten, und so entsteht ein Schnitt in der Schweinerippe. Ein montiertes Gewicht garantiert eine gleichbleibende "Stichkraft". Dadurch wurde das Experiment reproduzierbar, was bei freihändig durchgeführten Schnitten nicht möglich gewesen wäre.

Die Hälfte der Schweinerippen wurde in einem Laborofen kontrolliert verbrannt, und die andere Hälfte ließ ich zum Leidwesen meiner Mitbewohner in einer Box mit Wasser auf dem Balkon verrotten, um eine unverbrannte Kontrollgruppe zu erhalten. Die verbrannten und unverbrannten Rippen wurden einerseits mit einem speziellen Mikroskop, das ein 3D-Modell der Knochenoberfläche berechnet, und andererseits mit einem Mikrocomputertomografen untersucht.

Beim Vergleich der verbrannten mit der unverbrannten Gruppe kam ein interessantes Ergebnis zutage: Obwohl der Knochen beim Verbrennungsvorgang schrumpft, verändern sich die Messerkerben bei flachen Kerben kaum. Bei tiefen Cutmarks bricht die äußerste Knochenschicht unter der Kerbe auf. Beim Verbrennen wird dadurch die Bodenstruktur des Cutmarks verändert.

Dieses Wissen erlaubt es Archäologen und Forensikern, nun auch Cutmarks am verbrannten Knochenmaterial zu interpretieren und direkte Rückschlüsse auf das verwendete Tatwerkzeug zu ziehen. (Lukas Waltenberger, 21.12.2017)