Wien – Eine "symbolische Riesenschwarte" und eine "missglückte Wiederbelebung des Kultischen" sah der sonstige Mahler-Verehrer Theodor W. Adorno in der achten Symphonie. Wie man es dreht und wendet: Die zwei Sätze in 90 Minuten mit acht Solisten, einem Riesenorchester und drei Chören bleiben von rätselhafter bis verstörender Überdimensioniertheit. Sie bleiben ebenso rätselhaft wie die Verbindung des Hymnus "Veni, creator spiritus" mit der Schlussszene aus Goethes Faust.

Jede Aufführung rückt daher gewissermaßen in die Nähe von Samuel Becketts Paradoxon "wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern". Dass sie dabei zugleich überwältigend sein kann, ändert daran nichts. Andrés Orozco-Estrada widmete sich mit dem Tonkünstler-Orchester ausgerechnet diesem übergewichtigen Problemkind. Und: Es gelang (unter Mitwirkung eines sehr durchwachsenen, kämpferischen und teils abgekämpften Solistenensembles) im Goldenen Saal des Musikvereins einiges.

Die Entfesselung

Schon technisch wuchs das Orchester förmlich über sich hinaus. Und dort, wo es womöglich an Grenzen stieß, suggerierte der Dirigent doch ihre Überwindung, die so mehr als einmal gelang. Vor allem aber entfesselte Orozco-Estrada unter Beteiligung des Wiener Singvereins, des Slowakischen Philharmonischen Chors und der Gumpoldskirchner Spatzen vor allem im ersten Satz eine klangliche Wucht, die etwas von den Irritationen ahnen ließ, die manche Zeitgenossen Mahlers überkommen hatte.

Ansonsten sorgte der ehemalige Chefdirigent der Tonkünstler, der nun beim HR-Sinfonieorchester und beim Houston Symphony wirkt, für so viel Transparenz, Übersichtlichkeit und Nuancen wie möglich – und für den Spagat zwischen komponiertem Übermaß und Orchesterbalance. Es gab Begeisterung, die sich auch am 20. 12. einstellen könnte, wenn die Besteigung dieses symphonischen Berges wieder angegangen wird. Danach geht es in die Ebene zurück, wo auf die Tonkünstler ihr traditionelles Silvesterkonzert wartet (28., 29. 12.). (Daniel Ender, 19.12.2017)