In einem Kapitel von "Detroit: Become Human" wird man als Androidin Zeugin und Opfer häuslicher Gewalt. Kritik gab es vor allem für die Umsetzung besagter Szene.

Bild: Hersteller

David Cage, Leiter des Videospiel-Entwickler-Studios Quantic Dream und berühmter Macher von Spielen wie "Heavy Rain" und "Beyond: Two Souls", weiß, wie man die Werbetrommel rührt. Dabei nimmt er oft und gern den Mund auch zu voll: Die Zukunft des Spielens, so wird der Franzose nicht müde zu behaupten, seien Emotionen, und seine stark an Filmästhetik angelehnten Megaproduktionen würden den Weg in diese Zukunft bahnen.

Auch Cages kommendes Spiel, "Detroit: Become Human", das von einer Science-Fiction-Welt voller künstlich intelligenter Roboter erzählt, will seine Spielerinnen und Spieler beim Gefühl packen. Bisher gab es von dem ambitionierten Spiel allerdings lediglich eine Gameplay-Demo sowie einige Trailer-Videos zu sehen – und mit etwas Verspätung sorgt das zuletzt veröffentlichte Video zum Spiel aktuell für Aufregung im britischen und internationalen Boulevard. Zu sehen ist eine Szene, in der ein Kind unter der Gewalt seines brutalen Vaters zu leiden hat – aus der Perspektive des Roboterkindermädchens Kara, in dessen Gestalt Spielerinnen und Spieler auf eine Vielzahl von Arten Einfluss auf die Ereignisse nehmen können.

Video: Zsolt und Rainer sprechen über den Umgang mit schwierigen Themen in Videospielen – von häuslicher Gewalt in "Detroit: Become Human" bis zu Terroranschlägen in "Call of Duty: Modern Warfare 2".
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Dürfen Spiele das?

Die Boulevardblätter Mail on Sunday und The Sun nahmen als Erste den bereits im Oktober veröffentlichten Trailer als Anlass für beim Publikum immer gut ankommende Fundamentalkritik am Medium Videospiele. Unter Berufung auf die Stellungnahmen britischer Kinderhilfsorganisationen wurde die im Trailer gezeigte Szene – und, wenig überraschend, das ganze Spiel – als die Gewalt an Kindern verherrlichend dargestellt und scharf kritisiert.

Das Spiel, so Peter Saunders, Gründer der National Association of People Abused in Childhood, würde realen Gewalttätern die Möglichkeit geben, sich an diesen Bildern "aufzugeilen". Schon die Darstellung dieser Gewaltszenen würde zu weiterer Gewalt und Missbrauch aufstacheln. Esther Rantzen von der Kinderhilfsorganisation Childline nannte das Spiel "pervers": "Gewalt gegen Kinder ist kein Entertainment. Sie ist kein Spiel. Die Macher sollten sich schämen! Wer kommt auf die Idee, dass es Unterhaltung ist, ein Kind zu schlagen?" Und der konservative Parlamentsabgeordnete Damian Collins stimmte zu: "Es ist völlig falsch, dass häusliche Gewalt als Teil eines Videospiels vorkommt."

Künstlerische Freiheit

David Cage hatte schon im Oktober, als der Trailer auf der Paris Game Week das erste Mal für brancheninterne – und um einiges differenziertere – Diskussionen sorgte, sein Spiel verteidigt: "Ich will hier eine Geschichte erzählen, die mir wichtig ist, die ich bewegend, interessant und aufregend finde. Ich würde nie Gewalt glorifizieren." Auf die aktuelle Diskussion bezogen, fügte er gegenüber Eurogamer hinzu: "Es gibt Dinge, die ich nie machen würde – ein rassistisches oder frauenfeindliches Spiel etwa. Es gibt Grenzen. Aber wenn ich mich mit dem Inhalt und der Aussage identifiziere, weil ich eine richtige und bewegende Story erzählen kann, sehe ich keine Grenzen."

Tatsächlich ist natürlich die nun aufflammende Kritik an der Darstellung häuslicher Gewalt in "Detroit: Become Human" hauptsächlich deshalb so emotional, weil sie in einem Medium gezeigt wird, das in der Öffentlichkeit geringen Status als Kulturprodukt hat. Zahllose Bücher, Filme und TV-Serien thematisieren häusliche Gewalt, durchaus auch auf brutalere Art und Weise als der Trailer zum Spiel – auf die Idee, diese Darstellung sei von Vornherein abzulehnen, kommt aber niemand.

Getreu der alten Werbeweisheit "Jede Publicity ist gute Publicity" kann man Cage einerseits schon gratulieren: Natürlich ist die Wahl der gezeigten Szene dazu angetan, jene Gemüter zu erregen, die in Spielen automatisch gewaltverherrlichenden Schund erkennen wollen. Dass davon auch im Trailer keine Rede sein kann, ist eigentlich schon bei einmaligem Ansehen ersichtlich – im Gegenteil, die häusliche Gewalt werde ja eigentlich als erschreckend und bedrohlich gezeichnet. Dass noch kein Mensch außerhalb des Studios "Detroit" überhaupt gespielt hat und hier letztlich über ungelegte Eier gegackert wird, macht die reflexhafte Vorverurteilung noch unsinniger.

Es ist kompliziert

Pflegen hier also maximal gamesferne Ignoranten nur ihr altbekanntes Vorurteil? So einfach sollte man es sich auch als langjähriger Verteidiger der Videospielkultur nicht unbedingt machen. Dass ausgerechnet David Cage aus diesem Anlass zur Galionsfigur von Spielen als Kulturgut gemacht wird, ist nämlich auch nicht besonders sinnvoll. Auch die Wahl des Trailers legt den Schluss nahe, dass ihm eher an Aufmerksamkeit heischender Plakativität als tatsächlicher Beschäftigung mit seinen Themen gelegen ist – Letzteres wäre aber eine Grundvoraussetzung für den Umgang mit heiklen Themen wie Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt.

"Detroit: Become Human" war schon zuvor mit (weitaus differenzierterer) Kritik konfrontiert: Die Geschichte vom Aufbegehren einer entrechteten Bevölkerungsgruppe – hier: intelligente, scheinbar fühlende Roboter – gegen eine sie unterdrückende Gesellschaft sorgte vor allem wegen der mit der Industriestadt Detroit verbundenen Geschichte von Rassismus gegen die schwarze US-Bevölkerung für hochgezogene Augenbrauen. Statt jedoch diesen Zusammenhang als Verweis auf reale politische Relevanz zu bestätigen, zog sich Cage im übertragenen Sinn auf jene Standardausrede zurück, die seit Jahren Videospiele verlässlich vor kultureller Relevanz beschützt: Ist ja nur ein Spiel!

Keine Antwort ist auch eine Antwort

"Was ist vertretbar, wenn man für seine Rechte kämpft? Ich wollte keine Antwort auf diese Frage geben, und das war mir sehr wichtig. Ich wollte mit meinem Spiel keine Botschaft an die Menschheit richten", meinte Cage in einem Interview mit Waypoint, in dem er auf die politische Dimension seines Spieles und die Bedeutung auch gewaltsamen Widerstands gegen Unrecht angesprochen wurde. "Ich will hier nur Fragen stellen."

Nun ist es beileibe nicht so, dass jedes Spiel eine fixe Aussage hinsichtlich gesellschaftlicher oder politischer Themen zu treffen hat – die meisten Spiele erfüllen als Unterhaltungsprodukte ja durchaus den Anspruch, als Eskapismus vor der Realität zur Abwechslung diese speziellen Diskursanstrengungen außen vor lassen zu können. Wenn sich allerdings Spiele selbst in Inhalt, Thematik und Handlung mit dieser Art von Relevanz schmücken möchten, stünde ihnen etwas mehr als naives Achselzucken zu ihrer Haltung zu eben diesen Themen gut zu Gesicht.

Schwierige Fragen, simple Antworten

Das interaktive Medium Computerspiel hat hier vielleicht sogar eine höhere Bringschuld als klassische Medien, denn immerhin bekommen in ihnen Spielerinnen und Spieler eine Wahl, wie zu reagieren sei. Und natürlich sind die von Cage herbeifantasierten "Entscheidungsfreiheiten" seiner und anderer Spiele stets eng begrenzt und von den Entwicklern hergestellt. Wie reagieren wir auf den gewalttätigen Vater in der Szene in "Detroit: Become Human"? Dem Trailer – und den Erfahrungen mit früheren Spielen des Entwicklers – zufolge reicht die Handlungspalette von Flucht über Konversation bis hin zur Gewalt. Und besonders wenn David Cage beteuert, seinen Spielerinnen und Spielern keine "richtige" Handlungsweise aufzwingen und "nur Fragen stellen" zu wollen, ergibt sich aus der reinen Spielhaftigkeit des Mediums eine Beurteilung dieser Entscheidung – wenn nicht in (moralisch) "falsch" oder "richtig", so doch in "nützlich" oder "weniger nützlich" bis hin zu "Game over".

Was ist nun in diesem Zusammenhang die für den weiteren Spielverlauf "nützlichste " Reaktion auf häusliche Gewalt? Flucht? Oder doch der Griff zur im Trailer gezeigten Waffe?

Schwierige Fragen lassen sich in der Realität meist nicht im Multiple-Choice-Stil beantworten, und man muss den Kritikern an "Detroit: Become Human" hier im Detail recht geben: Die Behandlung heikler Themen wie jenem von Kindesmissbrauch oder häuslicher Gewalt im Korsett eines auf solche Entscheidungsmechanismen setzenden Spiels wird der Komplexität und Tragik des realen Problems nicht einmal annähernd gerecht. Tatsächlich muss den vielen realen Opfern häuslicher Gewalt ein Videospiel, in dem die "Lösung" dieses "Problems" eine Frage von "richtigen" A-oder-B-Entscheidungen verbunden mit dem korrekten Schütteln des Controllers ist, als absurd und verhöhnend vorkommen.

Es geht auch anders

Dass, wie die aufgeregten Kinderschützer und Politiker im Boulevard behaupten, Videospiele an sich nicht imstande wären, solche Themen adäquat und mit Fingerspitzengefühl zu behandeln, ist allerdings ebenso grober Unsinn wie die endlos als untoter Wiedergänger wiederkehrende Behauptung, "solche" Spiele würden selbst zu Gewalt anleiten – beides ist altbekannten Vorurteilen und Ignoranz geschuldet.

Denn ja, Spiele können durchaus heikle Themen behandeln. Und sie tun es: Just mit dem Thema häusliche Gewalt hat schon vor Jahren das autobiografische Spiel "Papo y yo" gezeigt, dass das interaktive Medium mit großer Eindringlichkeit vom Leben eines Kindes mit einem alkoholkranken, gewalttätigen Vater erzählen kann, und auch "Among the Sleep" thematisiert die Kindersicht auf Gewalt in der Familie. Spiele mit Themen wie Gewalterfahrungen von Kindern durch institutionelle Macht, etwa in Heimen oder Spitälern, gibt es außerdem in großer Zahl. Sogar vom Krebstod eines Kindes können Spiele erzählen, ohne ihr Thema zu verharmlosen oder ebenso Betroffene vor den Kopf zu stoßen – "That Dragon, Cancer" ist eines der besten Beispiele dafür, dass sich das interaktive Medium vielleicht sogar besser als andere dazu eignet, Empathie und Verständnis auszulösen.

Bloß nicht zu ernst!

Nur: Die genannten Beispiele stammen allesamt aus der Indie-Nische, denn die Hochglanzbranche tut sich seit Jahren schwer damit, ernsthafte Themen adäquat in seinen auf Millionenverkäufe getrimmten Produktionen unterzubringen. Im Zweifelsfall lässt man die Finger davon – und zeigt, wie aktuell in "Call of Duty: WW2", einen Zweiten Weltkrieg ohne jeglichen Verweis auf den Holocaust oder spart sich in deutschen Lokalisierungen gleich jeden Verweis auf Juden und Konzentrationslager.

Ein bombastisch inszenierter Science-Fiction-Thriller wie "Detroit: Become Human" wird für den Umgang mit seinem mutwillig angerissenen Thema – Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt – wohl vermutlich auf tiefergreifende Beschäftigung verzichten und es eher nicht auf eine Art und Weise behandeln, die der Sache angemessen ist. Nur "Fragen zu stellen" und die Interpretation der immerhin vorgegebenen Antworten dem Publikum zu überlassen ist manchmal nicht genug – und auch Videospielblockbuster müssen sich zu Recht der Kritik stellen, wenn sie diesen freiwillig gewählten Themen nicht adäquat begegnen. Heikle Themen in Videospielen? Ja bitte – aber so nicht. (Rainer Sigl, 26.12.2017)